Der Kampf mit den Dorfvereinen

Die Judo-Abteilung des SC Berlin bietet echten Bundesliga-Spitzensport in Hohenschönhausen – weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Die Athleten sind Amateure; einige Judokas kommen zu jedem Duell aus Polen

Einige Kämpfer werden von Dorfklubs abgeworben, die dreimal so viel zahlen

Schon von weitem sind sie zu hören: zackige Befehle, Schreie und das knuffige Geräusch von Körpern, die nicht eben sanft auf Turnmatten geschleudert werden. An diesem Samstag ist Judo-Großkampftag im Sportforum Hohenschönhausen. Auf dem Programm stehen die Bundesliga-Kämpfe des SC Berlin, Männer und Frauen. Diesmal in der engen Halle 3, was der Stimmung unter den zirka 150 Zuschauern, die keinen Eintritt zahlen mussten, nur guttut.

Der SC Berlin ist einer der wenigen Judovereine, der sowohl eine Frauen- als auch eine Männermannschaft in der Bundesliga hält – ein teures Vergnügen, wie Joachim Thärig, der Abteilungsleiter für die Bundesliga-Mannschaften, weiß: „Es wird jedes Jahr schwieriger, mit dem Geld auszukommen.“

Die Gründe sind vielfältig, aber doch vergleichbar mit vielen anderen Sportarten in Großstädten, denen kein multimediales Dauerinteresse entgegenschwappt. Aufgrund der guten Ausstattung vieler Vereine und der Sportförderung durch die Mittel der Klassenlotterie ist das Niveau der Liga hoch. Gleichzeitig gibt es viele Klubs, vor allem in der starken Gruppe Süd der Judo-Bundesliga, die in ländlichen Regionen beheimatet sind und dort als einziger Anbieter von Spitzensport fungieren. Das macht sie für Sponsoren interessanter als etwa das bundesligagesättigte Berlin. „Es ist bitter, wenn Kämpfer, die man selbst ausgebildet hat, von Dorfklubs abgeworben werden, die dreimal so viel zahlen können“, sagt Thärig. Er und der Trainer der Männer, Thomas Rossius, müssen daher stets ein Auge auf die Szene haben, um Talente zu erkennen und an den SC Berlin zu binden.

Mehr als eine Aufwandsentschädigung kann der Verein jedoch nicht bieten. Trotzdem hat man zwei Athleten aus Polen unter Vertrag, die extra zu den Kämpfen anreisen. Piotr Gollus, der in den vergangenen sieben Jahren nur drei Kämpfe für den SC verlor, und Krystof Wilkomirski sind wohl auch die beiden stärksten Judokas im Kader. Wie alle anderen im Team sind sie Träger des schwarzen Gürtels, was sie in den Meisterrang erhebt. Wilkomirski, mit Freundin aus Warschau angereist, war 2001 WM-Dritter in seiner Gewichtsklasse. Der 27-jährige mit den blonden Haaren und dem weichen, juvenilen Gesicht wirkt auf den ersten Blick so, als ob er die Übersetzung des Wortes Judo – japanisch für „der sanfte Weg“ – zu wörtlich nimmt. Dies ändert sich jedoch schlagartig auf der Matte. Wilkomirski paart Beweglichkeit mit großer Kraft und gewinnt seine beiden von insgesamt 14 Kämpfen gegen die UJKC Potsdam vorzeitig.

Judo stellt an die Athleten verschiedenste Anforderungen. Neben Beweglichkeit, Kraft und Reaktion ist es vor allem wichtig, die Initiative nicht abzugeben. Ein Umstand, der die Lautstärke unter den Zuschauern in knappen Kämpfen derartig erhöht, dass die Zuschauer vor Spannung förmlich vom Stuhl gerissen werden.

Nur einer bleibt meist auf seinem Platz: Trainer Rossius. Aufmerksam beobachtet er jede Bewegung seiner Schützlinge, um in kurzen Befehlen Korrekturen vorzunehmen. Immer wieder schauen die Kämpfer, die er teilweise seit vielen Jahren kennt, in den fünf Minuten eines Duells zu ihm. „Der größte Teil der Athleten wurde hier im Verein ausgebildet“, sagt Rossius mit einem schelmischen Grinsen. Man merkt, worauf es Thärig und Rossius, die nach eigenem Bekunden „auch locker einen Fulltimejob draus machen könnten“, bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit in erster Linie ankommt: Spitzenleistungen in ihrer Sportart zu ermöglichen.

So ist auch die letztlich knappe 6:7-Niederlage gegen den starken Tabellenzweiten aus Potsdam zwar ärgerlich – unglaublicherweise hat Piotr Gollus einen Kampf verloren –, das Saisonziel ist aber durchaus noch drin: Der SC möchte in die am 22. September beginnenden Play-offs vorstoßen. DENNIS KAZOOBA