Berliner Ökonomie 
: Alltägliches Elend für 250 Euro

Unverzichtbar für die Ökonomie in Berlin: Vermietungen von Locations an Filmteams. Und man kann ja auch noch mehr vermieten

Neulich trat ich aus dem Haus – da standen sich auf einmal „Bullen“ und „Autonome“ gegenüber, die Wiener Straße war mit Polizeifahrzeugen abgeriegelt. Seltsam nur, dass die Polizisten ganz entspannt wirkten, obwohl die jungen Antifas mit Baseballschlägern bewaffnet waren: Das hatte es in Kreuzberg noch nicht gegeben, auch nicht, dass die Kontrahenten neun Tage lang „kämpften“ – und zwar immer nebenan vor dem Fischrestaurant von Demirel. Hier sollte sich eine Gruppe von Neonazis verschanzt haben. Tatsächlich war dieses Gartenlokal einst eine SA-Kneipe, mit einem „wilden KZ“ im Keller, wo sich eine Kegelbahn befand. Von hier aus stürmten die rechten Rollkommandos einst mehrmals das jüdische Kaufhaus gegenüber: Heute befindet sich dort eine Feuerwehrwache.

Die Gefechte vor dem türkischen Restaurant waren inszeniert – für eine RTL-Produktion. Der Regisseur hatte das Lokal in „Spreeklause“ umbenannt, der Wirt bekam für die Dauer der Dreharbeiten ein Ausfallhonorar. Nicht nur leben immer mehr Ich-AGs davon, dass sie diesen Filmproduktionen in puncto Schminke, Catering, Kabel und Kostümen zuarbeiten. Auch an den vielen Locations, die für diese Filme benötigt werden, bleibt immer mehr hängen. Der Tierpark in Friedrichsfelde verlangt 200 Euro die Stunde fürs Drehen, das „Café Moskau“ in der Karl-Marx-Allee nimmt 1.000 Euro pro Tag. Auch die Allianz-Versicherung als Besitzerin des einstigen Stasi-Versorgungstraktes in der Normannenstraße will für jede authentische filmische DDR-Vergangenheitsbewältigung 1.000 Euro täglich.

Low-Budget-Filmer müssen sich daher was einfallen lassen. Der Regisseur Andreas Goldstein wich für eine kleine Stasi-Szene in seinem Film „Detektive“ in den Trauungssaal des Standesamtes von Mitte aus – der nur 50 Euro die Stunde kostete. Bei bestimmten Locations wollen aber auch noch die normalen Nutzer pekuniär ruhiggestellt werden. Im Märkischen Viertel war das eine die Dreharbeiten störende Jugendgang, der der Regisseur nur mit einer Einladung ins nächste McDonald’s beikam; am Bahnhof Zoo wurden neulich die Fixer von einem Fernsehteam laufend mit Bier und Tabak versorgt, damit sie sich so gaben, wie sie dort immer am U-Bahn-Ausgang rumlungern; und auch die Gäste des Lokals „Stiege“, wo man früher gerne „Liebling Kreuzberg“-Szenen drehte, wurden kürzlich von einem Filmteam gebeten, sich „ganz normal, wie immer“ zu verhalten, also zu reden, zu essen und zu trinken. Dafür spendierte die Regisseurin ihnen Rotwein und Grappa.

In Dimitris Kreuzberger Kneipe „Markthalle“, die vor allem durch das Buch und dann auch den Film „Herr Lehmann“ bekannt wurde und seitdem ein Schnitzel gleichen Namens auf der Speisekarte führt, scheinen viele Gäste nur darauf zu warten, dass sie dort mal wieder gefilmt werden – und dabei auch noch zu einer kostenlosen Mahlzeit kommen. Aber die Filmkarawanen sind weitergezogen. Neuerdings bemühen sich immer mehr Location-Agenturen um sie. Sie vermitteln ihnen u. a. teure Lofts und Penthouses – über den Dächern von Berlin. Schon gibt es Hausbesitzer in Mitte, am Ku’damm und am Liepnitzsee, die ausdrücklich in ihren Wohnungskauf- bzw. Mietverträgen festhalten: „Filmen ist im Haus nicht erlaubt!“ Entweder aus Sicherheitsgründen oder weil der Bauherr nicht will, dass seine teuren „Kreationen“ (in der Torstraße gibt es z. B. eine Wohnung für 4 Millionen Euro) laufend im Fernsehen zu sehen sind – und dadurch zum „Massengeschmack“ herunterkommen.

Umgekehrt vermietet z. B. die taz ihr eher schlichtes Rudi-Dutschke-Haus gerne für Dreharbeiten übers Wochenende. Unter Location-Agenten gilt es jedoch noch als „etwas zu teuer“.

Man kann aber noch ganz andere Sachen vermieten als Gebäude. Eine Agentur bietet für Partyveranstalter nicht Locations, sondern TV-Teams an, die ihre Gäste während der Party bzw. des Events filmen – mit leerer Kamera, nur damit alle das Gefühl haben: „Hier is was los! Hier geht es tierisch ab!“

Und dann gibt es natürlich auch immer mehr Gelegenheiten für bezahlte Auftritte. Die Reinickendorfer Agentur Rosemarie Fieting vermittelt z. B. Lookalikes – Leute, die aussehen wie ein Prominenter und sich wohlmöglich auch so verhalten bzw. reden, singen oder tanzen können. Daneben vermittelt Frau Fieting Haustiere für Werbeaufnahmen, TV- und Spielfilme.

Aber auch damit nicht gut. In der Stadtzeitung scheinschlag hat gerade der Elendsreportagen-Vermittlungsagent Waldemar Olesch über einige seiner „Problemfälle“ berichtet, die er verkaufte. Sein „Geschäft“ begann mit einem befreundeten TV-Journalisten, der einen verwahrlosten Hartz-IV-Empfänger mit vielen Kindern in einer Platte suchte. Olesch fand ihn und bekam dafür fast ebenso viel wie der Arbeitslose: 250 Euro.

Als Nächstes war sein Nachbar, ein Afrikaner, dran, für 150 Euro: „Wir räumten sein Bettgestell aus dem Zimmer und legten die Matratze auf den Boden. Die Fenster wurden verdunkelt und ein paar leere Bierflaschen in die Ecke gestellt. Dann munkelte er in gebrochenem Deutsch etwas von ständiger Angst, in der er lebe, in die Kamera … Sein Gesicht und seine Stimme wurden unkenntlich gemacht. Ein reißerischer Untertitel sorgte für die richtige Dramatik.“ HELMUT HÖGE