Der Dauerläufer

Der Ex-Schalker Christian Poulsen will heute mit dem FC Sevilla im rein spanischen Finale gegen Espanyol Barcelona den Uefa-Pokal gewinnen

AUS SEVILLA RONALD RENG

Von hinten ist auch ein bekannter Fußballprofi gar nicht so einfach zu erkennen; vor allem, wenn er nackt an einem vorbeiläuft. Der Größe und der Haarpracht nach zu schließen, müsste es der serbische Verteidiger Ivica Dragutinovic sein, der, nur ein Handtuch über die Schulter geschwungen, beim FC Sevilla durch den Flur der Umkleidekabinen spaziert. „Du bist frei, mit deinem Leben zu tun, was du willst“, singt eine Frauenstimme aus der Stereoanlage. Das Training ist seit über 30 Minuten zu Ende. Und Christian Poulsen? Er sitzt in Trainingskleidung in seiner eigenen Welt in der Kabine und schaut sich im Fernsehen an, was keinem Mitspieler noch einen Blick wert ist: vergangene, ewig wiederholte Tore des Uefa-Cup-Titelverteidigers.

Fußballer behaupten gerne, sie würden ihre Heldentaten danach nie mehr im Fernsehen betrachten. Es ist die Angst eitler Kerle, als eitel aufzufallen. Christian Poulsen, Dänemarks Fußballer der Jahre 2005 und 2006, der vier Spielzeiten Schalke 04 diente, ehe er vergangenen Sommer mit 26 nach Spanien weiterzog, sieht seine besten Szenen immer wieder – bewusst. Sogar wenn kein Fernseher an ist. Dann spult er sie in Erinnerung ab. Sich zu erinnern, welch schöne Momente sein Beruf bereithält, verwandelt den Druck vor dem nächsten Spiel in Vorfreude.

Der Fußball mutet Poulsen derzeit alles in Überdosis zu, die Anspannung, aber auch das befreiende Glück des Erfolgs. Das Uefa-Cup-Finale am heutigen Mittwoch in Glasgow gegen Espanyol Barcelona (20.15; Sat.1 und Premiere) ist der Höhepunkt einer Karriere, doch gleichzeitig auch nur das Spiel vorm nächsten Spiel, denn Sevilla buhlt zudem um die spanische Meisterschaft und steht im nationalen Pokalendspiel. „Es ist die längste Saison meines Lebens“, sagt Poulsen. Wenn sie am 23. Juni zu Ende geht, wird er über sechzig Partien absolviert haben, ein Drittel mehr als die meisten Spitzenspieler. Er war in der Bundesliga nicht berühmt, sondern einfach ein zäher, ein guter defensiver Mittelfeldspieler. Nun ist er in Sevilla der Referenzpunkt einer Weltklasseelf. In einer Mannschaft, zu deren Stärke die Rotation von 24 Qualitätsspielern gehört, wird nur zweien fast nie eine Pause gegönnt, dem Brasilianer Daniel Alves und Poulsen.

Er mit den blonden Haaren und dem ärmellosen T-Shirt sieht beim Training aus wie ein Surfer unter Fußballern. Er ist, in einem Sprintsport, ein Ausdauertalent. Deshalb lässt ihn der Trainer gegen sein eigenes Gesetz unmenschlich viel spielen: weil er weiß, dass Poulsen anders als neunzig Prozent aller Profis die Kraft hat, dies ohne Leistungsabfall durchzustehen.

Er hat in Spanien seine Trainingsausrüstung erweitern müssen: Andreas Hinkel, Sevillas deutscher Außenverteidiger, „und ich haben in der Umkleide unsere private Tube“; Sonnencreme, meint er. Poulsen hat die vier Jahre auf Schalke geschätzt, aber er hat dabei nie den Gedanken verloren, dass es nur eine Zwischenstation sei; von Kopenhagen auf dem Weg in die Sonne. „Die deutsche Liga ist besser als die dänische, und die spanische Liga ist“, er stockt, er will nicht unhöflich sein – „jedenfalls nicht schlechter als die deutsche.“

Spieler wie er, solide statt spektakulär, gehen, und die Fans beginnen schon, sie zu vergessen. Sein Wert jedoch ließ sich an der Gereiztheit messen, die sein Abgang fernab der Öffentlichkeit auf Schalke auslöste. Ein halbes Jahr redete Manager Andreas Müller auf ihn ein, zu bleiben; nach einem letzten vergeblichen Versuch sagte Müller ihm vorm letzten Saisonheimspiel: „So, Christian, dann wirst du heute verabschiedet.“ Poulsen wollte ja weg, aber so nicht. So zornig wie da war er selten. „Eine Stunde vorher sagte mir Müller noch, sie wollten mich halten, und auf einmal: Du wirst verabschiedet“, sagt er; und nimmt postwendend die Schuld auf sich: „Ich war durcheinander im Kopf, weil ich damals noch nicht wusste, wo ich hingehen würde.“ Er hat den richtigen Verein gefunden.