Kleiner Präsident spielt große Koalition

Frankreichs neuer Staatschef Nicolas Sarkozy stellt in Paris eine abgespeckte Regierung vor – und sorgt mit der Benennung von politischen Gegnern für Ärger. Der Sozialist Kouchner wird Außenminister, der Bayrou-Mitstreiter Morin Verteidigungsminister

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Eine „Regierung der Öffnung“ – so will Präsident Nicolas Sarkozy sein gestern vorgestelltes Kabinett verstanden wissen. Premierminister François Fillon kann sich künftig auf 15 Minister stützen, darunter 7 Frauen. Sarkozy hat sein Versprechen, er werde mit einigen „Überraschungen“ aufwarten, voll erfüllt.

Ein unerwartet schnelles Comeback feiert der ehemalige Premierminister Alain Juppé. Seine Ernennung zum Superminister für Umwelt, dauerhafte Entwicklung, Energie und Verkehr ist für ihn die ersehnte Rehabilitierung. Er war im Zusammenhang mit Finanzaffären im Pariser Rathaus und in der gaullistischen Partei als rechte Hand von Jacques Chirac, der als Staatschef unantastbar war, zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt worden. Zudem musste er wegen eines befristeten Verlusts seiner Wählbarkeit alle seine Ämter abgeben.

Dass Sarkozy mit Juppé einen Exrivalen zur Nummer zwei der Regierung macht, zeugt von politischer Selbstsicherheit des neuen Staatschefs. Seine Rolle entspricht den Wünschen des Umweltschützers Nicolas Hulot, dem es gelungen war, die wichtigsten Präsidentschaftskandidaten von der Notwendigkeit eines solchen Superministers zu überzeugen, der ständig über die Auswirkungen der Politik auf Umwelt und Entwicklung wacht.

Die eigentliche „Bombe“ aber ist zweifellos die Nominierung von Bernard Kouchner zum Außenminister. Der Sozialist gehörte zum Wahlkampfteam der sozialistischen Konkurrentin Ségolène Royal und hatte in dramatischen Tönen vor der Wahl Sarkozys gewarnt. Dass Kouchner das Angebot annahm, demoralisiert seine Genossen von gestern. Parteichef François Hollande gab gestern den Ausschluss mit sofortigen Wirkung bekannt.

Kouchner ist nicht der einzige „Überläufer“ von links. Eric Besson, der schon während des Wahlkampfs von Ségolène Royal zu Sarkozy übergewechselt war, wird mit einem Posten als Staatssekretär belohnt. Ein linker Spitzenfunktionär aus der Umgebung des sozialistischen Parteichefs François Hollande, Jean-Pierre Jouyet, soll zudem Minister Kouchner als Staatsekretär für Europa assistieren.

Mit dieser Öffnung zieht der neue Präsident die Lehren aus Jacques Chiracs Wahl von 1995. Dieser hatte eine Regierung aus engsten Getreuen gebildet – was nicht genügte, um unpopuläre Reformen durchzubringen. Ansatzweise praktiziert Sarkozy mit seiner Regierungsbildung, was der Zentrumsdemokrat François Bayrou mit einigem Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen vorgeschlagen hatte: die „ökumenische“ Überbrückung der traditionellen Gegensätze links/rechts. In der Regierung sitzt mit Edgar Morin als Verteidigungsminister auch einer von Bayrous engsten Mitarbeitern.

Viel diskutiert wurde gestern auch der steile Aufstieg von Sarkozys Kampagnensprecherin Rachida Dati, die Justizministerin wird. Sie wuchs als Kind nordafrikanischer Immigranten in einem Vorort von Lyon auf und soll ein Bindeglied zur muslimischen Bevölkerung darstellen.

Das umstrittene Ministerium für nationale Identität und Immigration hat Sarkozy seinem Jugendfreund Brice Hortefeux anvertraut. Das mächtige Wirtschafts- und Finanzministerium wird der Exminister für Arbeit und Soziales Jean-Louis Borloo leiten. Mächtigste Frau im Kabinett ist die bisherige Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie, die in das Innenministerium übersiedelt. An Frauen gingen auch die Ressorts Landwirtschaft, Hochschulen/Forschung, Gesundheit, Wohnungsbau sowie Kultur.

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