Hertha hat sich verirrt

Mit einem 2:1-Sieg in Frankfurt verabschiedet sich das Team in die bitter nötige Sommerpause. Kein Saisonziel wurde erreicht, die Zukunft des Trainers ist unklar, das Klima frostig. Manager Hoeneß wird einen Neuanfang versuchen – wieder einmal

VON JOHANNES KOPP

Es war der belangloseste Sieg der Saison. Für Hertha ging es am letzten Spieltag um nichts mehr. Trotzdem maß Trainer Karsten Heine dem 2:1 (0:0)-Erfolg in Frankfurt große Bedeutung bei: „Das war ein versöhnlicher Abschluss. Das tut der Mannschaft, dem Verein und den Fans sehr gut.“

Das nackte Ergebnis mag wohltuend für die geschundene Hertha-Seele sein. Allerdings mussten die Berliner Fans, die die Reise nach Frankfurt auf sich nahmen, wieder einige Patzer ihres Teams erdulden, insbesondere in der Abwehr. Streng genommen war es sogar eine dieser Unzulänglichkeiten, die Hertha den Weg zum Erfolg ebneten. In der 48. Minute schlug Kevin-Prince Boateng den Ball von außen effetvoll in den Strafraum, und zur Überraschung aller landete das Leder hinter Torhüter Oka Nikolov im Netz. „Mein Tor sollte eigentlich eine Flanke sein“, räumte Boateng später ein.

Hertha hatte an diesem Samstag das Glück auf seiner Seite. Das stand spätestens fest, als Marko Pantelic der Treffer zum 2:1-Endstand in nahezu letzter Sekunde gelang. Somit rangieren die Herthaner auf Platz zehn der Abschlusstabelle.

Trainer Heine hob die Bedeutung des geglückten Saisonfinales wohl so hervor, weil er noch auf einen Anschlussvertrag bei Hertha hofft. „Wenn ich die Chance bekomme, werde ich gerne weitermachen“, bekräftigte er am Samstag. Im Umfeld des Vereins wird dieses Szenario jedoch für unwahrscheinlich gehalten. Nach der missratenen Saison wird Manager Dieter Hoeneß Zeichen des Neuanfangs setzen wollen – wieder einmal.

Vorbild Nationalteam

Bereits vor dieser Spielzeit war die Führungsetage des Clubs von dem Wunsch beseelt, den Fans eine neue Hertha zu präsentieren. Die Fußball-WM im vergangenen Sommer hatte die Vereinsverantwortlichen inspiriert. Am Beispiel der deutschen Nationalelf wurde ihnen vor Augen geführt, wie viel man trotz bescheidener Mittel erreichen kann. So gab man als Saisonziel aus, im Stile der deutschen Nationalmannschaft mit leidenschaftlichem Offensivgeist und mannschaftlicher Geschlossenheit begeistern zu wollen. Man setze wie Jürgen Klinsmann auf junge Spieler, hieß es damals. Es war auch eine Notlösung: Der hochverschuldeten Hertha fehlte schlicht die Finanzkraft, um einen anderen Kurs zu fahren.

Aus Sicht der Vereinsführung setzte das Team anfangs die Vorgaben perfekt um. Schon am vierten Spieltag erklomm der Club erstmals seit Jahren die Tabellenspitze; im Dezember schloss man die erste Hälfte der Saison auf einem Uefa-Cup-Platz ab. Hertha schien auf gutem Wege zu sein, sich ein neues Image zu erarbeiten. Denn auch die Medien versahen die Arbeit von Trainer Falko Götz mit einem Gütesiegel. Das Nachwuchskonzept der Hertha wurde vielfach als vorbildhaft gewürdigt. Dass am Ende der Saison der Rundfunksender RBB vom „Havariefall Hertha BSC“ sprechen sollte, konnte sich zu diesem Zeitpunkt wirklich niemand vorstellen.

Spieler Marco Pantelic hatte in der Winterpause noch von der Champions League geträumt. Doch dann begann der freie Fall nach unten. Aufgrund einer verheerenden Niederlagenserie in der Rückrunde plagte sich Hertha zu guter Letzt sogar mit Abstiegssorgen herum. Wie die griechische Sagengestalt Sisyphos hatte sich Hertha mühsam nach oben gearbeitet und muss nun erneut von vorne anfangen – der Stein ist wieder ganz nach unten gerollt.

Hoeneß’ Fehler

Weshalb? Zwei Tage vor der Entlassung von Falko Götz sagte Hoeneß noch, am Trainer liege es nicht. Er erklärte den Niedergang etwas undurchsichtig mit „Prozessen in der Mannschaft“. Auf der Mitgliederversammlung vor einer Woche dagegen bekannte Hoeneß, er hätte Götz schon im Februar vor die Tür setzen müssen. Die Risse zwischen Team und Trainer seien nicht mehr zu kitten gewesen.

Ein spätes Geständnis, das heute kaum noch von Interesse ist. Nachdem die Entlassung von Götz zu keiner nennenswerten sportlichen Besserung geführt hatte, rückte Hoeneß zuletzt wieder die Mannschaft ins Zentrum der Kritik. Er stellte in seiner Saisonbilanz diverse Spieler an den Pranger und führte sie der Öffentlichkeit als charakter- und treulos vor. Unberechtigt ist diese Kritik sicherlich nicht. Einige der Jungprofis von Hertha neigen zur Selbstüberschätzung. Doch die Attacken von Manager Hoeneß dürften das Binnenklima bei Hertha stark belasten. Die Prognose lautet: anhaltender Frost.

Das ist eine schwere Hypothek für die Zukunft. Zudem Hertha gerade dabei ist, sich auch Hypotheken anderer Art aufzubürden. Für einen befristeten Zeitraum soll ein Investor bereit sein, 25 Millionen Euro an den Verein für sogenannte Genussscheine auszuzahlen. Zurücküberweisen müsse der Verein das Geld nur dann, wenn er Gewinne einfahre, so versichert die Clubführung. Das hört sich zu schön an, um wahr zu sein. Klappt dieser Deal, begibt sich Hertha wieder auf Einkaufstour, um der Mannschaft ein neues Gesicht zu geben. Man werde mit Augenmaß vorgehen, erklärte Hoeneß. Nach dem Neuanfang ist vor dem Neuanfang bei Hertha.