Mit schmutzigen Händen

Mit einer Entführung an den Start: Im ehemaligen Hansatheater in Alt-Moabit versucht sich ein neues Team. Sie nennen sich Engelbrot. Ihre Ideen allerdings wirken dann doch nicht so beflügelnd

Roter Samt, große Kronleuchter und 450 Plätze warten auf das Publikum

VON CONNY GELLRICH

Berlin hat zwar kein Geld, aber jede Menge Künstler. Am 5. Mai hat schon wieder ein neues Theater aufgemacht, und um der bei so viel Konkurrenz kostbaren Zuschauer habhaft zu werden, griff das Engelbrot zu eigenwilligen Mitteln: Die Intendanten entführten nach der Eröffnungsvorstellung des Theatertreffens dessen Publikum mit Holzgewehren und Bussen zur Eröffnungsparty ins eigene Haus.

Hinter dem Coup steckten H.P. Trauschke, Regisseur und Schauspieler, Friedrich Lichtenstein, Schauspieler, Musiker und Entertainer, Ludo Vici, Schauspieler, und der Bühnenbildner Knut Hetzer, die zusammen das ehemalige Hansatheater in Alt-Moabit angemietet haben. Kein einfaches Vorhaben nach einer langen Vorgeschichte von ästhetischem Dahinsiechen und vergeblichen Neustarts in unterschiedlichen Besetzungen. Bei den bisherigen Vorstellungen im Mai verloren sich denn auch bloß 20 bis 200 Zuschauer in dem großen Saal, der mit 450 Plätzen zwischen rotem Samt und schweren Kronleuchtern auf das Publikum wartet.

Finanziert wird das Engelbrot „mit ohne Geld“, wie H.P. Trauschke sagt. Denn um staatliche Förderungen zu beantragen, müsste man jetzt schon relativ konkrete Vorstellungen davon haben, was man nächstes Jahr machen will. Das Konzept des Engelbrot ist aber eher vage. Große Stücke mit großen Schauspielern sind geplant. Man werde „Theater auf höchstem Niveau“ praktizieren und dabei „auf allen Hochzeiten tanzen“, verspricht Trauschke. Aber gleich Wort halten konnte das Theater bisher nicht und zeigte erst mal alte Stücke aus dem Repertoire der vier.

Dazu gehörte die Radio Show „Something for the Dogs“ von Friedrich Lichtenstein. Das ist ein sanfter Abend mit Liedern und Geschichten aus längst vergangenen Zeiten, aus Kindheiten an Seen, ersten Kinofilmen, ersten Freundinnen, deren wehmütiger Glamour ganz gut ins verlassene Ambiente passt. Das NBI Orchester trägt weiße Fracks, ebenso der gemütliche Lichtenstein, der vor dem Mikrofon gemächlich auf und ab tänzelt. In einem goldenen Torbogen posieren ab und an zwei junge Mädchen, die über ihren hautfarbenen Tangas Blumen- und Früchtegirlanden tragen. Das erinnert an Tutti Frutti und James Bond. Leider geschieht die Ausstellung weiblichen Fleisches so wenig ironisch, das sie fast ernst gemeint sein könnte.

Als bisherigen Höhepunkt bot man zeitgleich mit dem Ende des Theatertreffens die Gala „Theatertreffen 07 – die 10.“ Herbert Fritsch, bekannt von der Volksbühne, Sabrina Zwach und Friedrich Lichtenstein verkünden hier auf leerer Bühne, was sie vom Festival und vom Theater generell, von der Schauspielerei und von sich selbst halten. Ihre Methode zur Kommentierung der eingeladenen Stücke lautet „VHS“, vom Hörensagen, denn sie haben die zehn Inszenierungen nicht gesehen. Muss man auch nicht, findet Trauschke, es sei schließlich eh immer das gleiche schon lang Bekannte.

Das mag sein, doch so gerät dieser Abend weniger zu einer Kritik des Betriebs und mehr zu einer Selbstdarstellershow mit manchmal sehr platten Witzen über Dildo, Anus und Loch (als Parodie auf „Dido & Aeneas“). Alberner geht nicht: Zur Bebilderung von Satres „Die schmutzigen Hände“ reibt Herbert Fritsch seine Hände auf dem Bühnenboden, um dem Publikum dann stolz das schmutzige Ergebnis zu präsentieren. Die drei Performer sind wirklich gut, was aber nicht über die inhaltliche Leere und die Einfältigkeit ihrer Witze hinweghilft. Herbert Fritsch verheddert sich in einem Stuhl und schimpft Zuschauern hinterher, die das Weite suchen. Sabrina Zwach lispelt durch künstliche Hasenzähne. Dabei sind nicht selten auch Insiderwitze, die an einem Publikum aus dem Kiez womöglich vorbeigehen.

Das sucht erst mal Orientierung. „Ist das hier der Trödelmarkt?“, fragt eine Besucherin H.P. Trauschke. „Nein, der ist gegenüber.“ „Aha. Und ihr seid der Biergarten?“ „Nein, wir sind die Intendanz.“ „Ach so. Hallo Intendanz!“

So ungeklärt wie das Konzept des Hauses erscheint auch seine Finanzierung. Einen Mäzen, der nicht genannt werden will, gibt es schon, der mit 50.000 Euro den Anfang sichert. Jetzt werden Sponsoren gesucht, die die fehlenden 100.000 Euro flüssig machen. Außerdem kann man Theateraktien kaufen: Sie sind von Paul Heimbach gestaltet und zeigen auf der einen Seite das Porträt eines berühmten Dramatikers und auf der anderen Seite eine Grafik aus bunten Linien, die ein dafür vorgesehenes Grafikprogramm aus dessen Geburts- und Todesdaten errechnet. Je nach Größe kosten diese Theateraktien 50, 200 oder 3.333 Euro, Freikarten inklusive.

Ob das reicht, um ohne staatliche Förderungen und neben den zahlreichen bereits existierenden Berliner Theatern ausgerechnet am Standort Alt-Moabit überleben zu können, glaubt man noch nicht so richtig. Anfang Juni soll es weitergehen.

Näheres unter: www.engelbrot.com