Unter Beschuss

AUS BEIRUT KARIM EL-GAWHARY

Es sind die blutigsten Gefechte seit Ende des libanesischen Bürgerkrieges vor 17 Jahren. Auch am Montag setzten libanesischen Truppen ihren Panzerbeschuss auf Palästinenserlagers Nahr El-Bared, zu Deutsch „Der kalte Fluss“ im Nordlibanon fort. Doch die dort verschanzten Kämpfer der militanten Fatah-Islam-Gruppe scheinen bisher keine kalten Füße bekommen zu haben und schossen mit Mörsergranaten und Schnellfeuergewehren zurück.

Bisher sind die Soldaten noch nicht in das Lager vorgerückt, das nach einem 38 Jahre alten Abkommen unter palästinensischer Sicherheitsverwaltung steht. Ein Einmarsch stehe noch nicht auf der Tagesordnung, sagte Informationsminister Ghasi Aridi.

Keiner weiß, wie hoch die Zahl der Toten ist, seit die Armee begonnen hatte, am Sonntag das Lager, das als Hochburg der militanten Gruppe gilt, zu umstellen. Mindestens 27 Soldaten und 20 der militanten Kämpfer sollen getötet worden sein. Aber die M-48-Kampfpanzer, die ihre tödlichen Ladungen in das mindestens 20.000 Einwohner zählende Flüchtlingslager feuern, lassen auch zahlreiche Tote unter den Zivilisten befürchten. „Wir schießen auf alles, von dem wir glauben, dass sich die Militanten dort aufhalten“ sagte ein Armeeoffizier vor Ort, der anonym bleiben möchte.

Immerhin war gestern Mittag eine kurze Feuerpause vereinbart worden, damit der Rote Halbmond die Verletzten bergen und das Lager mit dem Nötigsten versorgen kann. Doch noch am Nachmittag wurden die Kämpfe mit heftigem Sperrfeuer auf das Lager fortgesetzt.

Für die Flüchtlinge im Lager wurde die Lage immer dramatischer. „Tote und Verwundete sind in den Straßen. Es gibt weder Wasser noch Elektrizität“, sagte ein Arzt und Mitarbeiter des Palästinensischen Roten Halbmondes. Eine Granate sei in einer Moschee eingeschlagen, in der zahlreiche Zivilisten Unterschlupf gefunden hätten.

Unter den Toten vom Sonntag wurde auch Saddam al-Hajdib, der Bruder eines im Zusammenhang mit den fehlgeschlagenen Kofferbombenanschlägen in Deutschland inhaftierten Verdächtigen gefunden. Libanesische Sicherheitskräfte identifizierten die Leiche nach der Erstürmung eines Hauses in der dem Lager benachbarten Stadt Tripolis. Al-Hajdib war zuvor wegen der versuchten Kofferbombenanschläge auf zwei Regionalzüge in Deutschland in Abwesenheit in Beirut der Prozess gemacht worden. Er ist ein Bruder des in Deutschland inhaftierten Youssef Mohammed al-Hajdib, der als ein Hauptverdächtiger gilt und kurz nach der Tat in Kiel festgenommen war. In Beirut wird heute (Dienstag) der Prozess gegen den Cousin von Khaled, Khair Eddin al-Hajdib fortgesetzt, der dort wegen des versuchten Anschlags mit drei anderen Angeklagten vor Gericht steht.

Die Kofferbomben waren am 31. Juli vergangenen Jahres in zwei Regionalzügen von Köln nach Hamm und Koblenz entdeckt worden und kamen nur wegen eines technischen Fehlers nicht zur Explosion.

Die jetzigen Kämpfe im Libanon waren ausgebrochen, nachdem es zu einem Schusswechsel zwischen Soldaten und Angehörigen der Fatah-Al-Islam-Gruppe gekommen war, die eine Bank ausgeraubt haben sollen. In der Nacht zum Montag wurden dann die Befürchtungen geschürt, dass sich der Konflikt ausweiten könnte. Bei einem Anschlag mit einer Autobombe in dem Beiruter Christenviertel Al-Aschrafieh kam eine Frau ums Leben, zwölf weiter wurden verletzt. Es wurde spekuliert, dass dieser Anschlag mit den Kämpfen im Norden im Zusammenhang stehen könnte.