documenta, tomate etc.
: Erst die Theorie, dann die Praxis

Während 1.001 Chinesen als documenta-12-Beitrag des Künstlers Ai Weiwei nach Kassel kommen, bleibt ein anderer Teilnehmer zu Hause. Der spanische Star-Koch Ferran Adriá kann, wie sich jetzt herausstellt, seine Erfahrungen nur in seinem Restaurant „el bulli“ in Roses bei Barcelona weitergeben. Sagt das documenta-12-Team. Die Grand Tour, die der Kunstfreund diesen Sommer zu absolvieren hat, wird also immer grandioser. Von Venedig über Basel, Kassel und Münster geht sie nun nach Barcelona – damit man, wie Roger M. Buergel es vorschlug, seine künstlerische Intelligenz dahingehend trainiert, die Theorie aus Adriás Gerichten herauszuschmecken.

Um Theorie, allerdings in Texten, ging es auch vorgestern Abend, in der so genannten Montagspraxis von b_books in Berlin, wo Georg Schöllhammer sein documenta magazine no. 2 mit dem Titel „life!“ vorstellte. Auch er sprach davon, hier in dem kleinen Buchladen, der vor lauter Besuchern aus allen Nähten platzte, „nach Hause zu kommen“. Derweil durfte derjenige, der einen ersten Blick in das Magazin warf, schon jetzt seine Intelligenz darin trainieren, die Theorie aus den Texten herauszuschmecken.

„Wir sind weder anwesend in der Welt noch abwesend von ihr“, lautet der erste Satz des Emeritus in französischer Literatur der Universität Berkeley, Kalifornien, Leo Bersani. Ein Statement, das erst einmal verdaut werden will. Ob es dabei hilft, dass Bersani in seinem Schlüsseltext des Magazins No. 2 weiter sagt: „Wie verständlich diese Behauptung ist, wird davon abhängen, ob es uns gelingt, das, worauf das Wort ‚wir‘ üblicherweise hindeutet, neu zu definieren – ein Gelingen, das durch den Umstand verkompliziert wird, dass die definierende Instanz eine Funktion ebenjenes Objekts oder vielmehr Subjekts ist, welches neu definiert werden muss“? Dann doch lieber ab nach Barcelona! Und auf die Metaphysik von Ferran Adriás Espuma von Tomate und Basilikum gestürzt!

Georg Schöllhammer fühlte sich bei b_books aus zweierlei guten Gründen zuhause. Zunächst, weil er viele der Redaktionen seines documenta-Projekts in ähnlichen räumlichen und lokalen Verhältnissen antraf. Zum anderen aber, weil b_books, eine Plattform politischer und künstlerischer Aktivitäten, die sich seit 1996 um den Kreuzberger Buchladen organisieren und inzwischen einen Verlag, eine Filmproduktion und die Veranstaltungsreihe montagspraxis verbinden, den unvermeidlichen Walther König als Buchhändler in Kassel ablöst. Gemeinsam mit der thematischen Buchhandlung pro qm, die sich mit der Stadt und den Schnittstellen zu Politik, Pop, Mode, Architektur, Design, Kunst und angrenzenden Theorien beschäftigt. Man nehme also 300 ml Tomaten, passiert, 3 EL Tomatenmark, 2,5 Blatt Gelatine, Bund Basilikum, frisch, … BRIGITTE WERNEBURG