LIBANON: TROTZ BOMBARDIERUNGEN DROHT DEM LAND KEIN BÜRGERKRIEG
: Eine neue Lage

Gleich drei den Libanon prägende Konflikte kommen bei den Kämpfen rund um das palästinensische Flüchtlingslager Nahr al-Bared zusammen, in dem sich die radikal islamistische Gruppierung Fatah al-Islam verschanzt hat. Erstens bricht sich einmal wieder das alte Misstrauen zwischen Libanesen und Palästinensern Bahn. Die Libanesen haben zahlreiche frühere Erfahrungen mit den rechtsfreien Räumen rund um die Palästinenserlager gesammelt, über die der Staat de facto keinerlei Souveränität besitzt.

Zweitens werden bei vielen Libanesen erneut tief sitzende antisyrische Gefühle wach. Vielen gilt die dubiose Splittergruppe Fatah al-Islam als eine Marionette des syrischen Geheimdienstes – was Syrien allerdings vehement abstreitet.

Drittens werden die Angriffe auf das Flüchtlingslager noch im Namen des globalen Kampfes gegen den Terror geführt. Denn der Splittergruppe wird auch ein Nähe zu al-Qaida nachgesagt. Zumindest einer der Toten der letzten Tage wird beispielsweise mit den fehlgeschlagenen Kofferanschlägen auf die Deutsche Bahn im vergangenen Sommer in Verbindung gebracht. Alle diese Fäden laufen nun in Nahr al-Bared zusammen. Am meisten leiden die mindestens 20.000 Einwohner des Lagers unter dieser Situation, seit Tagen werden sie mit Artillerie und Panzern beschossen.

Die Medien bedienen sich reflexmäßig erneut des heraufziehenden Gespensts des Bürgerkriegs. Dabei übersehen Sie die neue politische Lage im Libanon: Es ist das erste Mal, dass sich die zwei zerstritten politischen Lager einig sind, die seit Monaten das Land politisch lahmgelegt haben. Sowohl die vom Westen unterstützte Regierung Fuad Sinioras als auch das von der Hisbollah angeführte Oppositionsbündnis unterstützen das Vorgehen der libanesischen Armee. Damit sind sie sich auch mit alle anderen palästinensischen Fraktionen des Landes einig, die die Splittergruppe Fatah al-Islam eindeutig verurteilt haben und die der libanesischen Armee sogar angeboten haben, auf ihrer Seite mitzukämpfen. So birgt der neueste Konflikt, dank eines gemeinsamen isolierten Gegners nicht nur eine Gefahr, sondern paradoxerweise auch eine Chance. KARIM EL-GAWHARY