„Das Aufbaukonzept funktioniert nicht“

Die Bundeswehr übernimmt in Afghanistan Aufgaben, die die Zivilgesellschaft vor Ort besser kann. Zudem erreicht das Geld der internationalen Geber die Menschen auf den Dörfern nicht, sagt der Politologe Sultan Karimi

SULTAN KARIMI, 49, Politologe, lebt in Kabul und Washington. 1981, nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan, ging er nach Deutschland. Hier gründete er 1993 den Verein „Mediothek für Afghanistan“, der sich um den Erhalt der afghanischen Kultur bemüht und versucht, demokratische Perspektiven für das Land zu entwickeln. Die Mediothek unterhält in fünf afghanischen Provinzen Gemeinschafts- und Kulturzentren.

taz: Herr Karimi, Deutschland rühmt sich, einen besseren Zugang zu den Menschen in Afghanistan zu haben als andere. Gilt das seit dem Attentat auf die Bundeswehr in Kundus noch?

Sultan Karimi: Das Problem ist, dass bisher zu wenig getan wurde, um die afghanische Zivilgesellschaft zu stärken und dadurch die Menschen für den Wiederaufbauprozess zu gewinnen. Das Konzept der zivilmilitärischen Zusammenarbeit funktioniert nicht. Das Wiederaufbauteam der Bundeswehr (PRT) wird als rein militärische Institutionen wahrgenommen. Zivile Organisationen kommen zu kurz, weil die Bundeswehr Wiederaufbauprojekte allein umsetzen will, um ihr Image in der Bevölkerung zu verbessern. Man braucht aber keine Soldaten, um auf den Dörfern Brunnen und Schulen zu bauen. Das können zivile Organisationen besser und billiger.

Welche Rolle spielt, dass die zivilen Organisationen aus ideologischen Gründen oft nicht mit dem Militär zusammenarbeiten wollen?

Der Fehler liegt weder bei der Bundeswehr noch bei den zivilen Organisationen, sondern bei den Entscheidungsträgern, die das amerikanische Konzept der PRTs übernommen haben. Aber Militär und Zivilgesellschaft haben andere Kulturen. Außerdem gibt es Sicherheitsregeln bei der Bundeswehr, die eine echte Zusammenarbeit verhindern. Der Tod der drei deutschen Soldaten in Kundus ist natürlich sehr traurig. Aber bei aller berechtigten Angst: Wenn man in gepanzerten Fahrzeugen vorfährt und vor der Tür mehrere Bewaffnete stationieren muss, dann erzeugt das Hemmungen bei den Menschen. Zumal die Afghanen aufgrund ihrer Geschichte Menschen in Uniformen generell misstrauen.

Hat die afghanische Zivilgesellschaft die Kapazität, mehr Projekte umzusetzen?

Natürlich fehlt es an vielem, aber das liegt daran, dass die Zivilgesellschaft bisher viel zu wenig unterstützt wurde. Man kann nicht erwarten, dass die Strukturen nach mehr als 20 Jahren Krieg vorhanden sind. Es geht doch gerade darum, Strukturen in Zivilgesellschaft und Regierung aufzubauen. Das ist bisher kaum passiert. Da muss man langfristig dran arbeiten. Ich sehe es in meiner eigenen Organisation, der Mediothek. Als wir anfingen, in die Provinzen zu gehen, konnte niemand auch nur einen Computer bedienen. Heute schreiben die Leute Projektanträge für internationale Organisationen, machen Power-Point-Präsentationen und setzen jede Menge Projekte um.

Stimmt es, dass die internationalen Organisationen immer nur dieselbe Handvoll NGOs in Kabul unterstützen?

Genau, das ist das Problem. Die internationale Gemeinschaft hat sich eine künstliche Zivilgesellschaft in Kabul geschaffen und erreicht die Menschen in den Provinzen nicht. Dabei ist das Potenzial da draußen riesengroß. Es gibt überall Kulturschaffende, Intellektuelle und Aktivisten, die etwas für den Friedensprozess tun wollen. Aber sie kriegen keine Unterstützung. Nehmen sie zum Beispiel die Lehrer. Das sind natürliche Verbündete des Demokratisierungsprozesses, weil sie ihr Leben der Bildung verschrieben haben. Aber sie erhalten keine Unterstützung außer einem kargen Salär von der Regierung.

Die afghanische Regierung verlangt von den internationalen Gebern, dass mehr Geld direkt an die Regierung fließen soll …

Finanzminister Ahadi hat neulich zugegeben, dass die Regierung im vergangenen Jahr nur 50 Prozent des Geldes ausgeben konnte, das sie erhalten hat. Warum verlangt sie noch mehr?

Warum sollte die Zivilgesellschaft das Geld denn besser verwenden können als die Regierung?

Aus mehreren Gründen: Zivilgesellschaftliche Organisationen arbeiten viel enger mit den Gebern zusammen. Das Geld versickert nicht in einem bürokratischen Wasserkopf, sondern die internationalen NGOs arbeiten direkt mit ihren afghanischen Partnern zusammen und führen Evaluationen durch. Auf Regierungsebene behindern Machtkämpfe und Korruption häufig eine effektive Arbeit. Außerdem reicht der Einfluss der Regierung oft nicht bis in die Dörfer. Die Zivilgesellschaft hingegen arbeitet dezentral in ganz Afghanistan.

Sollten sich die Deutschen stärker im Süden engagieren?

Natürlich sind wir auf das militärische Engagement der Bundeswehr und der USA in Afghanistan angewiesen. Wir haben alle ein gemeinsames Interesse in der Region. Ich rate aber davon ab, die Bundeswehr in den Süden zu schicken, so lange es keine gemeinsame Strategie auf beiden Seiten des Atlantiks gibt. Wir müssen im Westen eine gemeinsame Strategie für Frieden und Sicherheit in Afghanistan entwickeln und im Rahmen internationaler Vereinbarungen koordinierter vorgehen.

Auch für Afghanen ist es heute lebensgefährlich, im Süden zu arbeiten. Welche Rolle kann die Zivilgesellschaft da spielen?

Gerade zivilgesellschaftliche Akteure können heute etwas bewirken, weil sie weder als Teil des Militärs noch der Regierung wahrgenommen werden. Bisher sind die Menschen, besonders im Süden des Landes, nicht am Wiederaufbauprozess beteiligt, auch die Hilfe erreicht sie nicht. Wir können die Menschen nur dann gewinnen, wenn wir sie von Zuschauern zu Beteiligten machen.

INTERVIEW: BRITTA PETERSEN