„Ich will nicht deprimieren, nur warnen“

Das Ziel, die Erderwärmung auf – handhabbare – 2 Grad zu begrenzen, ist mit den bisherigen Szenarien nicht mehr zu schaffen, meint Klimaexperte Hans-Jochen Luhmann. Er plädiert dafür, negative Treibhausgas-Emissionen zu produzieren

DR. HANS-JOCHEN LUHMANN, geboren 1946, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Klima. Der Mathematiker und Ökonom leitet die Abteilung für Grundsatzfragen beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie und Projekte der Forschungsgruppe Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen.

INTERVIEW BERNWARD JANZING

taz: Herr Luhmann, die Emissionen von CO 2 steigen immer schneller, statt zu sinken. Müssen wir das Ziel, den Temperaturanstieg auf der Erde auf 2 Grad zu begrenzen, aufgeben?

Hans-Jochen Luhmann: Wenn man den Bericht des Weltklimarats genau liest, erkennt man, dass das Ziel schon heute mit den bisher angesetzten Reduktionsszenarien nicht mehr erreichbar ist. Dafür hätte der Ausstoß bereits ab 2000 sinken müssen.

Das ist aber eine pessimistische Interpretation.

Der dritte Bericht des Weltklimarats stellt klar, dass man bislang zwei Dinge unterschätzt hatte: das starke Wachstum der globalen Emissionen im laufenden Jahrzehnt. Und die Sensitivität des Klimas – es reagiert weitaus stärker auf den steigenden Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre als bisher angenommen. Aus rein wissenschaftlicher Sicht ist damit klar, dass die bislang angesetzten Szenarien der Emissionsreduktion nicht mehr ausreichen, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Die Szenarien, die der EU und dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen bei ihren jeweiligen „2-Grad-Beschlüssen“ als Grundlage dienten, müssen angepasst werden.

Ist also alles zu spät, die Katastrophe kommt zwangsläufig?

Nein. Der Bericht zeigt, dass wir mit den Emissionen drastischer heruntermüssen. Das heißt für die EU: 20 Prozent Rückgang bis 2020 sind zu wenig.

Statt Reduktionsziele zu definieren, wäre es doch wichtiger, darüber zu reden, wie man dorthin kommt!

Angemessen für die neue Situation ist der Gedanke an eine Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten – etwa negative Emissionen zu produzieren. Das kann man zum Beispiel durch Biomassekraftwerke mit Abtrennung des entstehenden Kohlendioxids. Bisher wird diese Technik nur im Zusammenhang mit Kohlekraftwerken diskutiert, die damit bestenfalls um zwei Drittel weniger klimabelastend werden können. Verbrennt man aber Biomasse und trennt das CO2 ab, um es der Atmosphäre zu entziehen, hat man in der Gesamtbilanz sogar negative Emissionen.

Haben Sie noch mehr Ideen?

Wir müssen den Begriff der anthropogenen Emissionen neu definieren, also ausweiten. Zum Beispiel werden Moore, die in den 1920/30er-Jahren trockengelegt wurden und seitdem, wie eine Altlast, sehr viel CO2 in die Atmosphäre entlassen, bisher nicht als menschlich verursachte Quellen angesehen.

Eine schlichte Neudefinition hilft dem Klima?

Ja, denn wir haben ein kluges Instrument: den Emissionshandel. Und wir haben den aus der nationalen Hand gegeben – die EU richtet es. Durch ihn wird alles, was gemäß internationalem Konsens als anthropogene Emission gilt, zum Kostenfaktor.

Die erste Handelsperiode der Emissionsrechte der Jahre 2005 bis 2007 war aber ein Flop.

Das war doch nur das Vorspiel, die Pubertät sozusagen. Ab dem 1. Januar 2008 wird der Emissionshandel funktionieren, weil die EU jetzt ihre Vaterrolle angenommen hat und die Nationalstaaten in die Verantwortung nimmt. Ich bin überzeugt, dass die Schlagkraft des Emissionshandels weiter zunehmen wird. Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass auch der Autoverkehr und der Flugverkehr künftig aufgenommen werden.

Das klingt dann doch nicht mehr ganz so deprimierend.

Ich will nicht deprimieren, sondern warnen: Wir machen uns was vor, wenn wir glauben, mit halbherzigem Klimaschutz unsere Ziele erreichen zu können. Wenn wir einen Temperaturanstieg von mehr als 2 Grad verhindern wollen, müssen wir jetzt steil runter mit den Emissionen.