Hinaus aus Hamburg mit den Schuften!

„Bild“ wird Berliner. So what? Ergebnisse einer Blitzumfrage unter Kulturschaffenden der beiden Metropolen

Die Einwohner Hamburgs dürfen drei Kreuze machen: Nicht mehr lange, und sie sind die Redaktion der Bild-Zeitung los. Die Entscheidung steht fest: Chefredakteur Kai Diekmann zieht um, nach Berlin, und die Mehrheit seiner Gurkentruppe nimmt er mit. Alles in allem werden 700 Bild- und BamS-Mitarbeiter die Stadt verlassen. Vertreter von Journalistenverbänden betrachten das als schweren Schlag für Hamburgs Image, und das sieht ihnen ähnlich.

Andere sehen die Sache anders: „Recht so!“, ruft auf Nachfrage der Hamburger Lexikograph Hans Kantereit. „Alles raus, was keine Miete zahlt!“ Und aus dem Hintergrund meldet sich der alteingesessene Eppendorfer Dichterfürst Frank Schulz mit den Worten: „Herzlichen Glückwunsch auch noch!“

Der Gedanke an den Fortzug der 700 gefällt der im Hamburger Schanzenviertel beheimateten Kolumnistin Fanny Müller „schon ganz gut“, wie sie erklärt. „Noch besser: wenn sie auch alle Bild-Zeitungs-Leser aus Hamburg mitnehmen würden.“

Den Journalisten Willi Winkler erinnert die Nachricht an das Wort, mit dem Karl Kraus 1926 den Revolverblattverleger Imre Békessy aus Österreichs Hauptstadt vertrieben hat: „Hinaus aus Wien mit dem Schuft!“ Eine leicht abweichende Meinung vertritt der Übersetzer Harry Rowohlt: „Als ich einmal – unter welchen Umständen, ist absolut unerheblich – im Wald meine Armbanduhr verloren hatte, hat eine BamS-Redakteurin sie wiedergefunden. Insofern sehe ich den Umzug mit einem weinenden und 699 lachenden Augen.“

Jahrzehntelang war Hamburg mit dem Makel behaftet, die erste Adresse eines Skandalblatts zu sein, das Gerüchte über die sexuelle Orientierung missliebiger Bundesligaspieler und den Geruch von Prinzessinnen ausstreute: Dank Bild konnte sich jedermann darüber informieren, dass Lady Di bei ihrer Entjungferung „nach Kotze“ gerochen habe. Bild beschäftigt, wie man weiß, erstklassige Rechercheure. Nun dürfen die Hamburger aufatmen, während sich am Himmel über Berlin die Gewitterwolken zusammenbrauen: Wie soll die Hauptstadt den Zuzug von 700 Bild-Mitarbeitern verkraften? Man stelle sich das einmal vor: 700 Lebewesen, die sich von Erbrochenem ernähren, wollen dort auf ihre Kosten kommen!

Nach Ansicht des Wahlhamburger Lyrikers Horst Tomayer bedeutet die baldige „Verbringung der Habseligkeiten“ dieser Personen „für meinen alten Freund und treuen Inserenten des Berliner Extra-Dienstes, Deutschlands führendsten Möbelspediteur Klaus Zapf, einen nicht zu verachtenden Umsatzzuwachs“, aber das ist nur ein schwacher Trost für die betroffene Bevölkerung.

Was das geistige Berlin erwartet, zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Blitzumfrage unter drei Berliner Kulturschaffenden. Ihr sei die Angelegenheit egal, erklärt die Bachmann-Preis-Trägerin Kathrin Passig: „In Berlin wohnen so viele Menschen mit dubiosen Berufen, 700 mehr oder weniger können da ja wohl kaum eine Rolle spielen. Ziehen die dann eigentlich auch in die Stadtteile, in denen ihre Leser wohnen?“ Gute Frage.

Einen positiven Nebenaspekt des Problemfalls hat der Essayist Michael Rutschky erkannt: „Hamburg ist zu vornehm. Da kann man den Dreck nur ignorieren. In Berlin ist chronisch viel mehr Dreck. Aber jeder hat ein Auge drauf.“

Der skeptische Dichter Max Goldt gibt zu bedenken, dass kritische Blicke nicht alles erfassen können: „Ein unschöner Gedanke ist, man könnte sich in einem Lokal versehentlich mit diesen Bild-Leuten unterhalten, denn man sieht zwar etlichen von ihnen, aber nicht allen, ihre zynische und widerwärtige Menschenauffassung an der Nasenspitze an.“ GERHARD HENSCHEL