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ACHSE DES DEUTSCHPOP – THOMAS WINKLEREtablierte Helden

Eine Institution sind Wir sind Helden seit ihrer ersten Single. Zeit für Verfeinerung: Mit ihrem dritten Album entdeckt das Berlin-Hamburger Quartett nun, dass auch ein Leben nach der Neuen Deutschen Welle möglich ist. „Soundso“ greift musikalisch allerdings noch weiter zurück in die Vergangenheit, denn die offensichtlichste Neuerung sind Bläser, die zwar aus dem Computer stammen, aber trotzdem schön satt geraten sind, die Songs beherzt vorantreiben und zudem beweisen, dass Sängerin Judith Holofernes schon immer eine Schwäche für Northern Soul mit sich herumtrug. Außerdem müht sich die frisch gebackene Mutter, nicht mehr gar so aufdringlich zu kieksen, und auch ihre Band hat den nervigen Synthie weitgehend ins Soundarchiv verbannt. Die Rhythmen hüpfen weniger hektisch als früher, sondern rollen viel entspannter, und so ist eine leichte, luftige Popplatte entstanden. So rundumerneuert der Sound, so tapfer aber steht die Band zu ihren Inhalten. Vor vier Jahren war es die Konsumkritik ihres ersten Hits „Guten Tag“, auf die sich ihr Millionenpublikum einigen konnte. Nun könnte die eher gewerkschaftsferne „(Ode) An die Arbeit“ zum Soundtrack einer Bewegung werden. Vor allem aber „Die Konkurrenz“ sticht heraus, eine ansteckend eingängige, von einem forschen Bläsersatz vorangetriebene Kampfansage an die Ellenbogengesellschaft, die Billy Bragg auch nicht überzeugender hingekriegt hätte.

Wir sind Helden: „Soundso“ (Labels/ EMI)

Pubertäre Helden

Im Gegensatz zu Wir sind Helden wirken Revolverheld immer wie die etwas zu prollige Nachbar-WG, die ständig diese viel zu lärmigen Feten veranstaltet, nach denen anschließend unweigerlich das Treppenhaus vollgepisst und zugekotzt ist. Doch das war, wie nun das zweite Album „Chaostheorie“ beweist, nicht ganz richtig: Das Quintett aus Hamburg wurde offensichtlich aufgrund ihres kurzärmeligen, muskelbepackten Erscheinungsbildes intellektuell unterschätzt. Das falsche Image soll nun mit Macht korrigiert werden: Schon im Eröffnungssong „Gegen die Zeit“ werden Revolution ausgerufen und Barrikaden gestürmt, in „Ich werd’ die Welt verändern“ wird an den inneren Schweinehund appelliert, in „Hallo Welt“ die Oberflächlichkeit der modernen Gesellschaft beklagt, und „Superstars“ schließlich ist eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Prominentenstatus. Man gibt sich hörbar Mühe, aber manche Metapher wird nicht in die Literaturgeschichte eingehen („Mein Leben ist wie ein Puzzle, man kann es auseinandernehmen“). Die Worte sind bisweilen ungelenk, aber dafür umso überzeugender vorgetragen, man könnte auch sagen: gebrüllt. Überhaupt ist die größte Qualität von Revolverheld, den recht überzeugenden Eindruck von testosterongeschwängertem Poser-Rock zu vermitteln, aber doch eigentlich nur nette, weitgehend harmlose Popmusik zu fertigen.

Revolverheld: „Chaostheorie“ (Columbia/Sony BMG)

Jugendliche Helden

Dass es passieren würde, das war klar. Es ist eigentlich nur überraschend, wie lange es gedauert hat, bis die Musikindustrie tatsächlich halbwegs taugliche Nachfolger für den Erfolgsprototyp Wir sind Helden an die Startrampe gebracht hatte. Aktuellster Kandidat: Karpatenhund, denn jede Band mit einem jugendlichen Frauengesicht im Vordergrund muss sich nun unweigerlich den Vergleich bieten lassen. „Ist es das, was du wolltest?“, fragt Sängerin Claire Oelkers gleich im ersten Song, aber dass sie damit die konsumkritische Haltung vom Rollenvorbild übernähme, wäre ein Missverständnis und der Song handelt auch nur von Kommunikationsschwierigkeiten in einer Beziehung. Auch sonst ist ihr Thema fast ausschließlich die Liebe und deren Scheitern. Bloße Kopien, so schlau ist das Musikgeschäft dann doch, wären auch nicht erfolgreich, deshalb werden leichte Verschiebungen vorgenommen: Wir sind Helden posieren als ironisch gebrochene Superhelden, Karpatenhund zitieren mit ihrem Namen „Die drei Fragezeichen“. Die Gesellschaftskritik des Originals ersetzen sie durch Nabelschau, deren bisweilen klapprigen Sound durch glatten Gitarrenpop mit verträglicher Punk-Attitüde. So wirken Karpatenhund auf ihrem Debutalbum zwar nassforscher, allerdings bisweilen auch krampfhaft jugendlich, dabei sind die fünf Kölner doch auch schon in der Mitte ihres dritten Lebensjahrzehnts.

Karpatenhund: „Karpatenhund #3“ (Virgin/EMI)

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