„Wir werden nachholen!“

Die ARD hat die Comedy für sich entdeckt, zumindest wenn es nach ihrem Vorsitzenden geht: Fritz Raff im Gespräch über starke Programm-Marken, Karlsruher Gebührenurteile und beherzte Selbstkritik

Fritz Raff, Jahrgang 1948, startete seine Karriere beim SR als Verwaltungsdirektor. 1994 wurde er zum Intendanten gewählt FOTO: ECOPIX

INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG

Mit Fritz Raff vom Saarländischen Rundfunk führt zum ersten Mal ein Intendant einer „kleinen“ Anstalt die ARD. Raff muss sich derzeit vor allem um das ramponierte Verhältnis zur Politik kümmern.

taz: Herr Raff, der ARD wird vorgeworfen, immer seichter und den Privatsendern ähnlicher zu werden. Unterschätzt der öffentlich-rechtliche Rundfunk sein Publikum?

Fritz Raff: Wer das behauptet, schaut nicht richtig hin. Wir unterschätzen es nicht. Wir müssen es immer wieder fordern. Es gibt doch nichts Spannenderes, als wenn man in eine interessante Sendung gerät und sich sagt: Mensch, das muss ich mal wieder sehen, das lohnt sich. Mehr Überraschungen und weniger Erwartbares ist im Sinne des Publikums. Dabei müssen wir einen wichtigen Auftrag für die Gesellschaft erfüllen, sind jedoch keine Volkshochschule. Das Spektrum, das wir abdecken müssen und wollen, ist riesig, und wir stellen uns jeden Tag aufs Neue den Herausforderungen und vor allem dem Publikum.

Auf Kritik, egal ob von innen oder außen, reagieren viele in der ARD aber doch sehr kleinmütig und dünnhäutig.

Die ARD hat vor allem in der ersten Phase des dualen Rundfunksystems sehr sensibel nach außen reagiert. Damals waren wir zum Teil heftigen Attacken ausgesetzt. Heute reagieren wir gelassener. Das NDR-Fernsehen hat zum Beispiel mit „Zapp“ eine dem eigenen Laden – also der ARD – engagiert-kritisch gegenüberstehende Sendung. Bei uns im Saarländischen Rundfunk gibt es das älteste Medienmagazin im Hörfunk. Da passiert schon einiges an selbstkritischer Berichterstattung. Ich meine, das öffentlich-rechtliche System muss in allen Bereichen von Offenheit geprägt sein. Und dazu gehört auch Selbstkritik. Zum einen gebietet das die Glaubwürdigkeit, zum anderen bleibt man nur so erkenntnisfähig für eigene Mängel und Stärken.

Apropos Mängel: Statt kreativem Risiko setzten auch die Öffentlich-Rechtlichen lieber auf Importe erfolgreicher Sendungen aus anderen Ländern oder „Me-too-Formate“.

Na ja, im fiktionalen Bereich und der Information sind wir doch der Maßstab und setzen die Marken. Und in der Fernsehunterhaltung wollen wir wieder zu alter Stärke zurückfinden. Wir arbeiten an solchen Defiziten. Ein Beispiel: Viele altgediente Kabarett-Redakteure haben Comedy als einen Angriff auf das klassische musikalisch-literarische Kabarett angesehen. Heute wissen wir: Comedy und Kabarett sind zwei völlig unterschiedliche Shows. Beide bedienen zum Teil sehr unterschiedliche Zielgruppen. So sind unsere Hörfunkwellen in Sachen Comedy beispielsweise viel, viel weiter. Im Fernsehen werden wir, gerade mit Blick auf die nachwachsenden Generationen, aufholen! Nach über 20 Jahren dualem System haben die öffentlich-rechtlichen Sender immer noch 45 Prozent Marktanteil. Das macht stark genug, auch mutige Programmentscheidungen zu treffen. Ich bin zum Beispiel von Anfang an ein Verfechter der Forderung gewesen, dass Frank Plasberg ins Erste gehört. Das ist ein gutes Beispiel für Innovation im gesellschaftlich-politischen Diskurs.

Aber selbst wenn es mal eigene Programm-Innovationen gibt, verschwinden diese oft sehr bald wieder – wenn der Quotenerfolg ausbleibt.

Wir brauchen zuweilen mehr Geduld und müssen Programmen bessere Chancen geben, sich zu entwickeln. Diese Geduld beweisen wir schon heute: „Türkisch für Anfänger“ war kein Quotenerfolg, aber gut – also wird es fortgesetzt. Gefragt sind Mut, Kreativität und Gestaltungswille der Programmmacher. Ich wehre mich schon seit Jahren gegen den Satz: „Man muss die Menschen da abholen, wo sie stehen.“ Das gilt, wenn ich jemanden mit dem Auto abhole. Aber nicht für kreatives Fernsehen.

Warum aber verordnen Sie der ARD als Vorsitzender nicht einfach einen Experimentier-Kanal – zum Beispiel anstelle eines der Dritten Programme?

Das ist nicht das Thema des ARD-Vorsitzenden. Die Dritten sind Sache der ARD-Landesanstalten und ihrer jeweiligen Hausphilosophien. Aber es gibt bei den Dritten auch Programme mit deutlichem Hang zu mehr Risiko und anspruchsvollen, neuen Sendeformaten. Wir sind im SR dabei, Neues auszuloten: Wir haben mit einigen deutschen Filmhochschulen gesprochen und wollten einen Digitalkanal für Abschlussfilme der Hochschulabgänger etablieren. Bei den Gesprächen mussten wir leider feststellen, dass auch die Filmhochschulen oft mehr Probleme als Chancen sehen.

Das ist bitter.

Das ist deutsch. Aber vielleicht schaffen wir’s noch.

Die Politik verlangt mehr Einfluss in Sachen Rundfunkgebühr. Die öffentlich-rechtlichen Sender klagen dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht. Warum sperrt sich die ARD gegen mehr medienpolitischen Einfluss ?

Wir haben nichts gegen medienpolitischen Einfluss der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber wenn, dann zur rechten Zeit, also nicht im Zuge eines Gebührenfestsetzungsverfahrens. Natürlich steht es der Politik offen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so zu gestalten, wie es letztendlich die demokratische Mehrheit möchte und wie es den Vorgaben unseres Grundgesetzes entspricht. Ich habe allerdings oft zu beklagen, dass Politiker eine feste Meinung zu unserem Programmangebot haben, aber es in seiner Breite und Tiefe gar nicht kennen. Sie vertrauen auf ihnen zugeschobene Sprechzettel und zuweilen auf oberflächliche Beobachtungen. Zum Glück gibt es aber auch die anderen: Die kennen und schätzen unsere Programme sehr genau und sie wissen um unsere Probleme, diese Qualitätsprogramme Tag für Tag anzubieten. Ich bin optimistisch, dass wir gerade auch nach dem Karlsruher Urteil in einen vernunftgeprägten Dialog mit den Politikern eintreten können.

Parallel will die ARD 95 Cent mehr Gebühren pro Rundfunkteilnehmer ab 2009. Was erwarten Sie in dieser Situation aus Karlsruhe?

Erwarten? Der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht verbietet es, hier Erwartungen zu formulieren. Ich erhoffe mir, dass das Bundesverfassungsgericht eine logische Fortschreibung seiner letzten Gebührenurteile vornimmt. Mancher hat ja gesagt, die ARD gehe ein hohes Risiko ein mit der Klage – weil uns die Richter weitere Vorgaben machen könnten. Aber ich sage: Lieber ein paar neue Passagen in unserem Stammbuch, die zeitgemäß sind, als mehr Einfluss der Politik. Ich habe gegenüber dem Bundesverfassungsgericht ein enormes Grundvertrauen.

Die Politik ist entsprechend verschnupft: Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) hat wörtlich gesagt, die ARD habe mit ihrer politik-kritischen Haltung „ein Eigentor geschossen“.

In der mündlichen Verhandlung gab es tatsächlich bisweilen Irritationen zwischen den Lagern. Doch das passiert schon mal spontan im Eifer des Gefechtes. Da sollte man nicht jeden Zwischenruf auf die Goldwaage legen. Ich stehe unverändert für den offenen Dialog mit der Politik. Diesen wollen wir gerade auf der Basis des Urteils des Bundesverfassungsgerichts fortführen. Uns geht es in Karlsruhe nicht um Sieg oder Niederlage für die ein oder andere Seite. Uns geht es um Sicherheit für die Zukunft. Von diesem Urteil werden wichtige Impulse ausgehen, und wir müssen danach die Zukunft der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunksystems gemeinsam gestalten.

Sie selbst stehen wegen der Betrugsfälle bei der SR-Tochter Telefilm Saar unter Druck. Rechnen Sie damit, dass Sie diese Affäre in der ARD schwächt?

Kein Unternehmen und offenbar auch nicht die Wirtschaftsprüfer sind absolut sicher vor betrügerischen Machenschaften. Die Telefilm Saar ist sozusagen eine Enkeltochter des SR. Als sich Anzeichen für Unstimmigkeiten ergaben, hat der Aufsichtsrat, dem ich angehöre, konsequent gehandelt, und als Ergebnis der von uns eingeleiteten Maßnahmen kam das gesamte Ausmaß ans Licht. Heute wissen wir: Mit hoher krimineller Energie und Finesse wurden da potemkinsche Dörfer gebaut, Urkunden und Bilanzen gefälscht. Wenn ich daran denke, dass meine eigene Unterschrift gefälscht wurde, macht mich das sehr betroffen. Wir sind aber aktiv dabei, den Schaden zu begrenzen und vor allem Ersatzarbeitsplätze für die unbescholtenen TFS-Mitarbeiter zu finden. Das ist mir wichtiger als die Frage, ob jemand glaubt, ich könnte hier als ARD-Vorsitzender geschwächt werden.