Jeder Anruf bringt Gewinn – garantiert!

Bei den penetranten Telefonratespielen im Fernsehen profitiert nur einer verlässlich: der Sender. Besonders dreist kassiert 9Live. Die zuständige Medienaufsicht hat das bisher kaum interessiert

Wenn auch Sie sich einmal nicht zurückhalten können, weil die Rätselaufgabe gar so einfach oder der Busen der Moderatorin gar so groß erscheint, sollten Sie die Spielregeln kennen. Die „9Live-Mitmachregeln“, die auf der Homepage von 9Live (www.9live.de) nachzulesen sind, beginnen jedoch mit einer handfesten Irreführung: „Bei 9Live sind die Spiele transparent, fair und verständlich.“ Wir würden sagen: Das genaue Gegenteil ist zutreffend. Deshalb helfen wir gerne mit einer kleinen (höchst subjektiven) Interpretation. Das steht in den Regeln: „Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sind (…) von der Teilnahme (…) ausgeschlossen.“ Das bedeutet es: Kinder können selbstverständlich trotzdem anrufen und 50 Cent pro Anruf bezahlen – nur gewinnen sie nichts. Das steht in den Regeln: „Im ‚Hot-Button-Modus‘ wird zu einem beliebigen Zeitpunkt, entweder innerhalb eines vorgegebenen Zeitfensters oder ohne zeitliche Begrenzung (…), nach Aktivierung eines technischen Auswahlmechanismus ein Anrufer ausgewählt, der gerade in diesem Moment anruft.“ Das bedeutet es: Irgendwann, wenn es ihm in den Sinn kommt, löst ein „9Live“-Redakteur nach Belieben einen Mechanismus aus – und nur wer just zu diesem Zeitpunkt anruft, hat die Chance, durchgestellt zu werden. Alle anderen, und das gilt vor allem für jene, die am Anfang des Spiels anrufen, haben keine. Das steht in den Regeln: „Alle 9Live-Rätsel werden in der Regel nach Ablauf des Spiels aufgelöst. Von diesem Grundsatz kann aus Gründen redaktioneller Gestaltung abgewichen werden, wobei die Auflösung dann spätestens bis zum Ende der jeweiligen Sendung erfolgt.“ Das bedeutet es: Warten Sie lieber nicht auf die Auflösung eines Rätsels. Das kann Stunden dauern. Das steht in den Regeln: „Manche Kunden von Telefongesellschaften und auch einige unserer Zuschauer haben ihr Telefonierverhalten nicht immer unter Kontrolle, so dass ihnen außergewöhnlich hohe Telefongebühren vom jeweiligen Netzbetreiber oder Service Provider in Rechnung gestellt werden. Solche hohe Kosten entstehen häufig durch dauerhaftes Anwählen von Sonderrufnummern. Deshalb bitten wir unsere Zuschauer, auf ihr Telefonierverhalten zu achten und ihre Telefonkosten regelmäßig zu kontrollieren.“ Das bedeutet es: Gäbe es solche Leute nicht, könnte 9Live wohl gleich dichtmachen. Es darf stark angenommen werden, dass der Sender einen Großteil seines Umsatzes nicht mit mündigen Bürgen macht, die mal ein Spielchen wagen – sondern mit Süchtigen. KUZ

VON STEFFEN GRIMBERG

Wir befinden uns in der „Powerrunde“, irgendwo läuft eine Uhr auf die Hundertstelsekunde genau, was aber wenig Sinn macht, weil sie so dauernd wie willkürlich wieder angehalten wird, und eine junge Blondfrau sagt abwechselnd immer „Wahnsinn!“ oder „Unglaublich!“.

Es ist neun Uhr morgens beim DSF, das zwar Deutsches Sportfernsehen heißt, aber um diese Uhrzeit die Senderkasse mit Ratespielchen aufbessert. Für die nächsten zwei Stunden sind Automarken mit „A“ dran, und das geht dann so: Auf einer Tafel sieht man neun markierte Felder. Vier sind schon frei und nennen mehr oder weniger gängige Namen wie Audi, Skoda, Talbot oder Daihatsu. Auf den restlichen pappen Geldscheine. Für 50 Cent pro Anruf kann mitgeraten werden, wenn einen der Gesprächsgenerator denn mal durchlässt.

Doch was auch immer – von A wie Alfa Romeo bis Z wie Zündapp – der blonden Dame um die Ohren schlägt, ist falsch. „Cadillac – schade, ist es nicht, noch mal versuchen“, animiert sie die Zocker.

Um hier im Sender „live“ zu verlieren, muss man perfiderweise aber erst mal durchkommen. „Hallo, hier ist Daniela vom ‚Sportquiz‘ “, heißt es sonst vom Band, und: „Sie haben die richtige Nummer und bestimmt die richtige Lösung. Hoffentlich kommen Sie beim nächsten Mal durch. Dieser Anruf kostet Sie 50 Cent aus dem deutschen Festnetz.“

Im Fernsehen steigt derweil der zu gewinnende Betrag – „Netto, steuerfrei – Wahnsinn!“ – immer weiter bis auf schwindelerregende 10.000 Euro. Denn die Spielregeln sind herzlich unklar und werden nirgendwo erklärt. Es geht natürlich nicht wirklich um richtige Automarken, wie die Beispiele auf der Tafel weismachen – auch jede krude Typenbezeichnung ist erlaubt. Und so können sich die AnruferInnen zwischen Volkswagen, Wartburg und Opel Corsa den Mund fusselig raten, bis sogar schließlich jemand „Austin Powers“ sagt und vermutlich „Aston Martin“ meint: Am Ende hat keiner die 10.000 Euro gewonnen, aber sehr viele Menschen haben mit ihren Anrufen das DSF reicher gemacht.

Natürlich geht hier alles mit rechten Dingen zu, deshalb wird am Ende der Sendung, wenn der „endgültig letzte Countdown“ von vielen abgelaufen ist, des Rätsels Lösung aufgedeckt. Heraus kommen dann derart abstruse „Automarken“, dass sie sich selbst in den Weiten des Internets kaum wiederfinden lassen. „Slama“ zum Beispiel – oder „Malterner“, aber vielleicht konnten wir auch nur die Krakelschrift auf der Tafel nicht richtig lesen.

Was einen allerdings richtig stutzig macht: Kurz vor Schluss des Schmonzes gab es ein ganz besonderes Bonbon: „200 Euro Bonus für den nächsten Anrufer – egal, was gesagt wird“, verhieß die „Moderatorin“. Und während sich vorher die RaterInnen im Viertelminutenabstand mühten, blieben die zufallsgeneratorverwalteten Leitungen plötzlich seltsam still und leer.

Dem Verdacht, dass es hier mit allem anderen als rechten Dingen zugeht, sieht sich auch der Erfinder dieser Call-in-Glücksspielchen im deutschen Fernsehen ausgesetzt. Bei 9Live gibt es den „Hot Button“ – erst wenn der vom Redakteur aktiviert ist, spuckt der Zufallsgenerator laut Sender „willkürlich und ohne Umwege über ein Callcenter“ einen Anrufer aus, der „direkt in die Sendung gestellt“ wird. Und dort bevorzugt an ziemlich vertricksten Buchstabenrätseln teilnehmen kann.

Auf die Rummel-Losbude übertragen, würde das bedeuten, dass ein fieser Budenbesitzer erst nach 14 Uhr überhaupt Gewinnlose in die Tombola gibt – während vorher nur Nieten gezogen werden konnten. Stimmt nicht, erklärt jetzt 9Live: Denn eine „bereitgestellte technische Applikation“ stelle sicher, dass „auch immer wieder solche Anrufer berücksichtigt werden, die vor dem ‚Zuschlag‘ [gemeint ist der Hot-Button; die Red.] angerufen haben“. Belege dafür gibt es allerdings nicht – und wenn dem so ist: Wozu dann eigentlich der Zauber um den heißen Knopf?

Auch den Verdacht, die Redakteure würden ihr Auslöseverhalten nicht per Zufall praktizieren, sondern nach dem Anrufaufkommen richten, weist 9Live empört zurück. Gegen im Internet kursierende Sendungsausschnitte, wo sich sogar „ModeratorInnen“ so äußern, dass der „Zufall“ eher nach Zahl und Dauer der eingegangenen Anrufe ausgelöst wird, tritt der Sender den Indizienbeweis an: „Soweit aufgrund der Bemerkung unserer Moderatorin Alida Lauenstein der Eindruck entstanden ist, der Zuschlag des ‚Hot Button‘ sei – in unfairer Weise („Peaks“) – beeinflusst worden, entspricht dies nicht den tatsächlichen Gegebenheiten“, antwortete 9Live auf eine entsprechend Anfrage der für die Programmaufsicht zuständigen Bayerischen Landesmedienanstalt. Dies werde „schon dadurch deutlich, dass unmittelbar nach der kritisierten Äußerung der Moderatorin, den ‚Hot Button‘ nicht zuschlagen zu lassen, eine Anruferin namens ‚Daniela‘ in die Sendung gestellt wurde, welche die ausgelobte Summe von 800 Euro gewonnen hat.“

Stellt sich also die Frage: Dürfen die das? – Und ob! Denn selbst die dämlichste Quiz-Abzocke auf Hütchenspielerniveau gilt als TV-Programm und genießt damit die verfassungsrechtlichen Privilegien der Rundfunkfreiheit. Der fürs Fernsehen zuständige Rundfunk-Staatsvertrag regelt beispielweise höchst detaillistisch, wann, wo und wie im Programm von Privatsendern geworben werden darf. Zum Thema TV-Gewinnspiele findet sich hier aber gar nichts. Seit Herbst 2005 gibt es immerhin eine eher lahme Übereinkunft der Medienaufsicht mit den Sendern („Gewinnspielrichtlinie“), die seitdem im Internet und in ihrem Videotext-Angebot die „Mitmachregeln“ etwas genauer formulieren müssen – „ein Wort zu übermäßigem Telefonierverhalten“ inklusive.

Verbraucherschützer gehen nämlich davon aus, das bei derlei „Ratespielchen“ im DSF, bei 9Live oder anderswo vor allem eine feste, eher kleine, dafür aber umso anruffreudigere Gruppe mitmacht – und sich bei diesen die finanziellen Verluste zu teilweise üppiger Höhe addieren. Das wissen auch die beteiligten Sender.

So sorgt sich 9Live geradezu rührend-naiv: „Manche Kunden von Telefongesellschaften und auch einige unserer Zuschauer haben ihr Telefonierverhalten nicht immer unter Kontrolle, so dass ihnen außergewöhnlich hohe Telefongebühren […] in Rechnung gestellt werden. Solche hohe Kosten entstehen häufig durch dauerhaftes Anwählen von Sonderrufnummern.“ – Sondernummern wie die 0 13 75-Einwahlen, mit denen man bei den einarmigen „TV-Banditen“ landet.

Dass den meisten ZockerInnen der Umstand, eben nicht den Zufall, sondern einen „Redakteur“ am „Hot Button“ sitzen zu haben, gar nicht klar sein dürfte, ficht den Sender schon überhaupt nicht an: Erstens steht es so, wenn auch verklausuliert, in den Spielregeln. Und zweitens sei das mit der Bayerischen Landesmedienanstalt (BLM) so vereinbart, schreibt 9Live. Die kenne auch die „strengen Richtlinien“ des Senders bezüglich solcher Redakteursentscheidungen. Und was steht drin? Nichtssagendes: „Innerhalb des Zeitfensters startet der Redakteur dann zu einem beliebigen Zeitpunkt den Zufallsmechanismus.“ Aha.

Nun wird die BLM von anderen Medienaufsehern seit langem eines zu nachlässigen Umgangs mit den TV-Schmuddelkindern wie 9Live geziehen – und fand prompt auch die Widerlegung des Fernsehbeweises in Sachen Lauenstein schlüssig: Der Sender habe den Manipulationseindruck „in seiner Stellungnahme plausibel widerlegt“, erklärte BLM-Präsident Wolf-Dieter Ring, daher liege „kein Verstoß gegen die Gewinnspielrichtlinie vor“. Einen zweiten verfänglichen Sendungsausschnitt vom 28. April, diesmal mit „Moderator“ Max Schradin, hat die BLM bislang gar nicht bewertet. „Das werden wir uns noch ansehen“, hieß es gestern.

Doch die Tragweite des „Hot Button“ hat man anscheinend auch bei der BLM schlicht nicht voll begriffen: Dass sich in der Gewinnspielrichtline kein Passus befinde, nach dem ein „Anrufer zu jeder Zeit eine Gewinnchance“ haben müsse, sei „auch erst in den letzten 24 Stunden bekannt geworden“, sagte gestern BLM-Sprecher Wolfgang Flieger der taz. „Die Gewinnmöglichkeit muss jederzeit gegeben sein“, fordert die BLM jetzt – und außerdem solle dann eben der nächste Rundfunkstaatsvertrag verbindliche Regeln festlegen.

Nun handelt es sich bei Medienaufsehern oft um die Gattung „höhere Verwaltungsbeamtenlaufbahn“. Derart besoldete Menschen sind – anders als die 9Live-Zielgruppe – nicht eben Hütchenspiel-affin. Außerdem schreibt die Gewinnspielrichtlinie vor, dass „Mitarbeiter der Landesmedienanstalten“ vom Zocken ausgeschlossen sind. Doch wie man es dreht und wendet: Dass sie ein Programm in ihrer Verantwortung so wenig kennen, bleibt ein Skandal.