Rundum glücklich

VON EKKEHARD KNÖRER

Es war ein Start-Ziel-Sieg. Cristian Mungius späterer Siegerfilm „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ lief früh im Festival und behauptete bis zum Schluss seinen Spitzenplatz in den Kritikerwertungen der diesjährigen Cannes-Ausgabe. Der rumänische Film ist angesiedelt in den späten Jahren des Ceaușescu-Regimes und erzählt die Geschichte einer Frau, die einen abgetriebenen Embryo loszuwerden sucht. Der Film ist das Gegenteil gefälligen Kinos – und dennoch geschah, was selten geschieht: Die international besetzte Jury unter Vorsitz des britischen Filmemacher Stephen Frears stimmte mit der Kritikermeinung überein und verlieh dem zuvor weithin unbekannten Regisseur den Hauptpreis des Festivals.

Die allseits mit Wohlgefallen aufgenommene Goldene Palme für Mungiu setzte aber nur das i-Tüpfelchen auf einen Wettbewerb, mit dem ausnahmsweise einmal alle rundum glücklich waren. Selten waren auf den Festivals der letzten Jahre so viele Filme wie diesmal in Cannes mit regelrechter Begeisterung begrüßt worden. Das Niveau war so hoch, dass sogar einige der ganz großen Namen des internationalen Films leer ausgingen. Zum Beispiel der Hongkongchinese Wong Kar-Wai, der mit „My Blueberry Nights“ erstmals in den USA drehte. Der Musikerin Norah Jones traute er dabei in ihrem ersten Filmauftritt gleich eine Hauptrolle zu – zu Recht, wie die Filmpresse befand. Der Film selbst wurde allerdings als eher lauer Aufguss früherer Meisterwerke beurteilt.

Nicht nur die Goldene Palme, auch Platz zwei, der „Große Preis der Jury“, ging an ästhetisch kompromisslose Kinokunst. Die japanische Regisseurin Naomi Kawase ist mit ihren intimen und unspektakulären Filmen seit Jahren eine Favoritin auf internationalen Festivals – es bleibt zu hoffen, dass sie nach dem Preis für „Der Trauerwald“ endlich auch einmal in deutschen Kinos zu sehen sein wird. Durchweg suchte die Wettbewerbsjury nicht den Kompromiss mit dem Kommerz. Gemeinsam mit Vincent Paronnaud hat die iranische Comic-Künstlerin Marjane Satrapi ihren autobiografischen Comic „Persepolis“ von unbewegten in bewegte Bilder übertragen. Sie teilt sich den „Preis der Jury“ mit dem Mexikaner Carlos Reygadas, der in früheren Filmen eher mit seinen freizügigen Sexdarstellungen für Aufsehen gesorgt hatte. Seinen streng komponierten, spirituellen Film „Silent Light“ hat er nun aber in einer Mennoniten-Gemeinschaft angesiedelt.

Das deutsche Kino war in diesem Jahr in Cannes so stark vertreten wie lange nicht mehr. Gespannt wurde Fatih Akins erster Spielfilm nach dem Gewinner des Goldenen Bären, „Gegen die Wand“, erwartet. Der Nachfolger „Auf der anderen Seite“ verknüpft lose mehrere Episoden und bewegt sich zwischen Deutschland und der Türkei. Die internationale Presse nahm den Film sehr wohlwollend auf, er wurde mit dem Preis der Ökumenischen Jury und einer Palme für das beste Drehbuch ausgezeichnet.

Eher unterrepräsentiert bei den Preisen blieb das US-Kino. Gus van Sant erhielt eine zum 60. Jubiläum des Festivals speziell ausgeschriebene Spezial-Palme, für seinen neuen Film „Paranoid Park“, irgendwie aber auch fürs gesamte bisherige Werk. Und natürlich ist auch der Maler und Filmemacher Julian Schnabel Amerikaner – er hat seinen mit dem Preis für die beste Regie prämierten Film „Die Taucherglocke und der Schmetterling“ freilich nach einer französischen Vorlage mit französischen Darstellern in Frankreich gedreht.