„Du musst dir treu bleiben“

Heute erscheint die „Frankfurter Rundschau“ erstmals im neuen kleinen Format. Simon Kelner, Chefredakteur beim Schrumpf-Vorbild „Independent“, über das Geheimnis des Tabloid-Erfolgs

„Das ist das erste Mal, dass ich davon höre. Ich wünsche der FR viel Erfolg“

VON STEFFEN GRIMBERG

Die Parallelen sind nicht zu übersehen: Von der Redaktion des Independent, Großbritanniens linksliberaler Tageszeitung am Marsh Way im Canary Wharf, dem ehemaligen Hafenviertel, bis zum Wasser sind es nur wenige Schritte. Die linksliberale Frankfurter Rundschau ist dem Londoner Beispiel gefolgt und bewohnt derzeit ein Domizil nur ein paar Meter vom Ufer des Mains entfernt. Doch es geht um mehr als das Gekreisch von Stadtmöwen: Der Independent ist auch Vorbild und Hoffnungsträger für den Schritt, der aus der inhaltlich grauen, wirtschaftlich kriselnden Frankfurter Rundschau (FR) eine völlig neue Zeitung machen soll: Ab heute ist das Blatt nur noch halb so groß.

Den kühnen Sprung zum kleinen Tabloid-Format hatte der Independent 2003 vorgemacht – aus einer ähnlichen Ausgangsposition wie heute die FR: Er schwächelte im Markt der überregionalen britischen Blätter, die Auflagen sanken beständig. „Wir bekamen aus der Leserforschung immer den Hinweis: Die Leute mögen unseren Journalismus, unsere engagierte Art, an die Themen heranzugehen. Aber das altmodische große Format passte einfach nicht mehr zu ihrem Lebensstil“, sagt Independent-Chefredakteur Simon Kelner (50). Die „Quadratur dieses Kreises“ sei dann „zum Glück gelungen“: Die Zeitung schrumpfte in Sachen Format, aber nicht inhaltlich. Alle Artikel der „großen“ Ausgabe standen auch im neuen Kompaktformat – anders als beispielsweise bei Springers Welt kompakt, die nur knapp zwei Drittel der Geschichten des Hauptblatts übernimmt.

Die FR folgt auch hier dem britischen Modell – und hofft auf einen ähnlichen Erfolg: Um ein sattes Viertel, rund 50.000 Exemplare, war nach der Formatumstellung die Independent-Auflage gestiegen – und lag im April weiter bei 249.536 täglichen Exemplaren. Die FR verkauft sich aktuell nur 150.000 mal am Tag, 2005 waren es noch 170.000 – ein Minus von über 10 Prozent. Der Independent-Effekt wäre also mehr als willkommen, – überall bei der FR wird das Blatt denn auch als Kronzeuge für den eigenen Wandel bemüht.

Zumal die neuen LeserInnen für sich sprechen: „Wir haben vor allem junge Menschen und insbesondere Frauen dazugewonnen“, sagt Kelner – noch so eine Parallele zu den Hoffnungen von FR-Chefredakteur Uwe Vorkötter. Der wiederum aber auf den entscheidenen Zwischenschritt verzichtet, mit dem die Londoner ihr neues Format absicherten: Von September 2003 bis Mai 2004 erschien neben dem neuen Tabloid auch noch der alte, große Independent weiter, die LeserInnen sollten selbst ihre Auswahl treffen. „Damals haben wir so das Risiko reduziert“, so Kelner. Probleme für die FR, die nun alles auf eine Karte setzt, sieht der Independent-Chef – anders als viele deutsche Brancheninsider – aber nicht. Schließlich habe sich „die Zeitungswelt weiterentwickelt. Tabloid ist kein Stigma mehr“. Das Risiko sei „längst nicht mehr so hoch wie 2003“. Und das Geheimrezept? „Du musst dir treu bleiben“, sagt Kelner: „Inhaltlich haben wir uns gar nicht verändert, aber der Journalismus wird ein anderer: mehr Grafik, mehr Bilder, mehr Meinung.“ Für ihn ist das klar die Zukunft der Zeitung, „moderne Menschen wollen eher Views- als Newspapers“, es gehe mehr um Einschätzungen und Zuordnungen als bloße Nachrichten – für die seien schließlich längst Fernsehen und Internet zuständig. Zudem biete das kleine Format viel mehr Flexibilität: Themen kommen gewichtiger auf Doppelseiten daher, und die meist monothematische Titelseite, so Klener, „passt perfekt zum ‚campaigning journalism‘, den der Independent pflegt“ – und der deutlich mehr ist als der in Deutschland so verrufene „Kanpagnenjournalismus“.

Ein gewichtiger Unterschied aber bleibt, dessen Folgen für die Frankfurter Rundschau kaum abzuschätzen sind: In Großbritannien gibt es kein Zeitungsabo wie in Deutschland – alle Titel liefern sich tagtäglich einen harten Wettbewerb am Kiosk. Deutsche Kritiker der FR-Formatumstellung befürchten nun, dass die klassischen StammabonnentInnen des Blattes die Schrumpfung und damit einhergehende gründliche Generalüberholung mit Abo-Kündigungen beantworten könnten.

Ob auch der der Independent bei der seiner Verkleinerung LeserInnen verschreckt hat, kann Kelner nicht sagen: „Wahrscheinlich schon, aber der Nettoeffekt war eben positiv.“ Als Chefredakteur – Kelner leitet den Independent seit 1998 – sei ihm ohnehin klar, „dass du nie alle Leser glücklich machen kannst“.

Dass der Tabloid-Trend in jedem Falle keine Eintagsfliege ist, zeigen die schon jezt zahlreichen Nachahmer: Von den vier großen Londoner Qualitätsblättern erscheint nur noch der Daily Telegraph im alten Broadsheet-Format. Weltweit planen rund 60 Titel, dem Independent-Beispiel zu folgen, 2008 will sogar die New York Times schrumpfen. Gewundert hat das Kelner nicht: „Wenn du im Zeitungsgeschäft eine gute Idee hast und erfolgreich bist, gehört dir die Idee nicht lange alleine. Erstaunt ist der Editor-in-Chief des Independent eher darüber, dass er gestern von der taz erstmals von den FR-Plänen erfuhr: „Das ist das erste Mal, das ich davon höre. Ich wünsche dem Blatt viel Erfolg.“