Das Nichts in der Oper

Holla! Den Wendepunkt einer künstlerischen Karriere sollte die Performance von Gregor Schneider im Magazin der Staatsoper markieren. Heraus kam eher eine Anekdote

Die Erwartungen an den Donnerstagabend waren hoch, die Informationen im Vorfeld spärlich. Nur so viel war klar: der Künstler Gregor Schneider, Schöpfer der spektakulären Total-Installation „Totes Haus ur“, mit der er vor sechs Jahren auf der Biennale in Venedig schlagartig zu Weltruhm gelangte, kommt nun endlich auch nach Berlin, um im Magazin der Staatsoper unter den Linden eine einmalige Performance zu liefern. Der Titel verriet nicht mehr als den Zeitraum der Aufführung: „19–20:30 Uhr 31.05.2007“. Alle Zeichen standen auf Überraschung.

Die Pressemitteilung heizte das Event noch gehörig an: „Die Aufführung im Magazin der Staatsoper ist die erste Präsentation des weltweit gefeierten Künstlers in Berlin nach 13 Jahren und soll einen Neuansatz in Gregor Schneiders Kunstschaffen markieren, der über das Bauen von Räumen hinausgeht.“ Hui! Ein kühler Hauch von Kunstgeschichte wehte durch das frühsommerlich heiße Berlin. Wann bitte schön bekommt man schon mal vorab Bescheid, dabei sein zu dürfen, wenn ein Künstler in eine neue Schaffensphase eintritt?

In solchen Fällen hört man doch normalerweise erst hinterher die schmerzhaften Sätze: „Was? Du warst nicht da!“ Also beeilten sich große Teile der Berliner Kunstszene, noch Karten zu besorgen, was kein Problem darstellte. Selbst wenige Tage vor dem Termin war die Veranstaltung nicht ausverkauft. Ob es am Preis lag, mit 15 Euro ungefähr das Doppelte eines normalen Museumsbesuchs?

Seit Sommer 2005 sucht man bei der Staatsoper in der Projekt-Reihe „Relation in Movement“ die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Künstlern. Die Veranstaltungen im lagerhallenartigen Magazin der Staatsoper haben den Ruf des ambivalenten Kunstgenusses, denn die längliche, meterhohe Halle ist nicht einfach zu bewältigen: Als erster eingeladener Künstler ließ Jonathan Meese im Juni 2005 in einer siebenstündigen Performance „Jonathan Meese ist Mutter Parzival“ seinen inneren Wagner frei, im letzten Herbst versuchte sich John Bock mit seiner „Medusa im Tam Tam Club“ an der Bespielung der Halle, in die er zwar einen ganzen Reisebus kopfüber hineinhängen ließ, was aber dennoch einen alles in allem langatmigen Abend nicht verhinderte.

Wie würde nun Schneider diesem Ort beikommen? Kaum ein anderer Künstler wird schließlich so mit der Arbeit am Raum assoziiert wie der 1969 im niederrheinischen Rheydt geborene Künstler, der schon als Teenager damit begann, sein Elternhaus schrittweise in ein undurchschaubares Labyrinth umzubauen. In seiner aktuellen, bis Mitte Juli laufenden Ausstellung mit dem Titel „Weisse Folter“ in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K21 stattete er das Museum gar mit einer Reihe blitzblanker Knastzellen aus, deren architektonische Gestalt von Bildern ähnlicher Einrichtungen aus dem amerikanischen Gefangenenlager in Guantanamo Bay auf Kuba inspiriert wurde. Durch solche Räume flaniert niemand mit leichtem Herzen.

Die schiere Neugier trieb das erwartungsvolle Kunstpublikum nun am Donnerstagabend kurz vor sieben vor das große Tor des Opernmagazins. Vielleicht lag es an den in weiser Voraussicht auf den Ansturm aufgestellten Absperrungen, welche die Versammlung der geduldig Wartenden zu einer schönen geraden Linie formte, oder an den Gesprächen, die sich um die bevorstehende Biennale in Venedig oder die Kunstmesse in Basel drehten: man fühlte sich wie auf einem dem Flughafen vor dem Check-In. Auch die Angst war da, dass man wegen Überbuchung des Flugs nicht reinkommen könnte. Doch die Zeit verging, nichts bewegte sich. Alle mitgebrachten Schokoriegel und Käsestullen waren bald aufgebraucht. Nur die Schlange wuchs beständig. Leichtes Murren wurde laut. Ein unbestellter Jongleur konnte die auf existenzielle Kunsterfahrung eingerichtete Menge nun auch nicht wirklich erheitern.

Nach einer Stunde des Wartens schien sich das Tor zu öffnen und die Leute wurden einzeln hineingelassen. Manchem war das zu viel: „Das Happening ist, jetzt hier zu warten und zuzusehen, wie die Leute einzeln vor mir hineingehen? Pah! So kunstgläubig bin ich nicht. Ich gehe“, warf eine Nachbarin entnervt in die Runde und ging. Wäre man ihr gefolgt, hätte man sich eine weitere geschlagene Stunde vor und im Magazin sparen können.

Zu sehen gab es nämlich außer einer grauen Stellwand, die den Ausgang abschirmte, durch welchen die Schlange das Haus schließlich wieder verließ, gar nichts. Gregor Schneider nutzte seinen Berliner Opernabend für eine Luftnummer und die schale Demütigung seines Publikums: die Inszenierung der Warteschlange als Kunstevent.

KITO NEDO