Berichterstattung I

„Das Foto vom toten Ohnesorg habe ich am Samstag im Berliner Abendblatt gesehen“, sagt Jürgen Henschel. „Das habe ich doch auch auf dem Film, habe ich gedacht.“ Erst dann ging er ins Labor und vergrößerte seine eigene Aufnahme von Friederike Hausmann und Benno Ohnesorg. Der Fotograf war damals 43 Jahre alt und arbeitete für die sozialistische Zeitung Die Wahrheit der SED Westberlin. Das Bild im Abendblatt war von Bernard Larsson, der von 1961 bis 1968 in West- und Ostberlin fotografierte und wie Henschel zu den wichtigsten Dokumentaren dieser Jahre gehört.

Am 4. Juni bot Henschel sein Bild im Republikanischen Club an, und der Asta übernahm es für den FU-Spiegel vom 5. Juni. Darin wies man auf den Tod Ohnesorgs durch einen Schuss hin, nachdem u. a. Bild am 3. Juni erklärt hatte, dass der Student „nach einer Straßenschlacht […] an einer Schädelfraktur“ gestorben sei. Dazu hatten die Blätter des Springer Verlags mit Fotos von der Schlacht der „bösartigen und dummen Wirrköpfe“ u. Ä. getitelt. Am 5. Juni brachte Bild dann Larssons Aufnahme. Dass Ohnesorg erschossen worden war, war zu diesem Zeitpunkt bereits publik, zum Foto erklärte nun Polizist Kurras seine Notwehrhandlung.

Ab dem 6. Juni empfahl die Politik eine deeskalationsorientierte Berichterstattung der „weichen Welle“. Die Lageranalyse fiel vorübergehend differenzierter aus, und man schrieb von den friedlichen Trauerveranstaltungen der Studenten, die „nur vereinzelt“ mit roten Wimpeln geschmückt waren. Alternativ schimpfte man auf unliebsame Kondolenzbekundungen aus der DDR. LOTTE EVERTS