die taz vor zehn jahren über historische vergleiche beim blick auf die arbeitslosen-statistik
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Rekord – knapp 4,7 Millionen ohne Job! Das ist der Stand, der schon einmal, im Dezember 1930, erreicht wurde. In den Achtzigern, als sich die Zahl der Arbeitslosen auf einem vergleichsweise bescheidenen Level bewegte, gehörte der Flirt mit historischen Vergleichen zum linken Selbstverständnis. Das Szenario lautete: Erst kommt der hedonistische „Tanz auf dem Vulkan“, wie weiland in den späten Zwanzigern, dann folgen die depressiven frühen Dreißiger, ja und dann …

Wir wissen, Bonn ist nicht Weimar. Arbeitslose sind heute vergleichsweise satt und zufrieden. Aber der in der Vergangenheit überstrapazierte Weimar-Bezug könnte durchaus noch Wirkung zeigen – beim Abbau von Arbeitnehmerrechten. Was spricht in Kreisen, deren Denken und politisches Handeln auf ein naives „Nie wieder!“ ausgerichtet ist, zum Beispiel gegen Lohnsenkungen, wenn damit nur gesichert ist, daß sich Geschichte nicht wiederholt? Warten wir also ab, ob die Arbeitgebervertreter den Spielball „Nie wieder!“ aufnehmen und es ihnen gelingt, die Umverteilung des Reichtums zu ihren Gunsten als antifaschistische Maßnahme zu verkaufen.

Atmosphärisch erinnert heute wenig an Weimar, aber einiges an die Wendejahre 1982/1983. Damals versprach Kanzlerkandidat Kohl einer durch Automatisierungs- und Rationalisierungsprozesse verunsicherten Arbeiterschaft: Wir werden die Zahl von zwei Millionen Arbeitslosen halbieren. Ein Bonustrack wurde gleich mitgeliefert: Auch die Zahl der Ausländer sollte erheblich reduziert werden.

Es war der Beginn des ökonomischen Krisenmanagements mittels der Ethnisierung sozialer Konflikte. Dies förderte die rassistische Stimmung, die schnell in eine Anti-Türken-Paranoia und xenophobe Gewalt mündete. Eine erneute Vermischung von Arbeitsmarkt- und Ausländerpolitik sowie der Diskussion um ein Einwanderungsgesetz gilt es zu verhindern.

Eberhard Seidel taz vom 7. 2. 1997