Des Widerspenstigen Lähmung

Michael Schindhelm, Direktor der Opernstiftung, wirft das Handtuch – und nimmt seine Kündigung kurz darauf zurück. Seine Amtszeit endet dennoch früher als geplant. Ein wahres Operndramolett

von NINA APIN

Dramatis Personae: Michael Schindhelm, Direktor der Opernstiftung. Der Technische Direktor der Staatsoper. Der Boss, Regierender Bürger- meister von Berlin. Thomas Flierl, Kultursenator. Chor der Medienleute.

Erste Szene: Wut

Im Büro der Opernstiftung in der Komischen Oper. Michael Schindhelm sitzt am Schreibtisch und hält eine Zeitung in der Hand. Er schäumt vor Wut.

Schindhelm (schreit): „‚Operettenstiftung‘, schreiben die! Ja, bin ich hier denn der Arsch für alle? Drei Opern soll ich erhalten, Sparen soll ich, aber helfen tut mir keiner. Ich bin Chemiker. Und Theatermann. Aber doch nicht euer … Opernbüttel!“

Das Telefon klingelt. Der Technische Direktor der Staatsoper ist dran.

Direktor (weint): „Das Haus bricht zusammen!“

Schindhelm (müde): „Ich weiß.“

Direktor (fleht): „Wir müssen sanieren! Wir brauchen Geld!“

Schindhelm (gereizt): „Frag doch Wowereit. Oder Den Bund!“ (legt auf)

Das Telefon klingelt wieder. Dran ist Der Boss.

Boss (drohend): „Hör mal zu, Schindhelm. Bald bin ich Kultursenator, dann ist hier Schluss mit Tralala. Wenn du nicht sparst, bis es quietscht, ist für dich und deine Stiftung bald Feierabend.“

Schindhelm (eisig): „Boss, was wollen Sie mir damit sagen?“

Boss (deklamiert): „Der Zuschuss wird nicht erhöht. Wenn Sie Ihren Auftrag gut erfüllen, dürfen Sie bleiben.“

Schindhelm (verzweifelt): „Aber die Staatsoper geht kaputt. Wir müssen was tun!“

Boss (pampig): „Bin ich Der Bund, oder was? Der soll zahlen, heißt ja schließlich Staatsoper, der Kasten.“ (Der Boss legt auf.)

Schindhelm (schreit das Telefon an): „Weißt du was, Boss? Dann schau halt, wie du deine drei Opern ohne mich zusammenhältst! Mir reicht’s!“

Erregt wählt er die Nummer des Kultursenators.

Schindhelm (brüllt): „Thomas, ich schmeiß die Brocken hin! Ich kündige!“

Flierl: „Ich mag dich. Bleib!“

Schindhelm legt auf.

Zweite Szene:Der Abgang (Probe)

Im Foyer der Komischen Oper. Schindhelm (posiert vor einem Spiegel. Er erhebt dramatisch die Arme gen Himmel, singt): „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen!“ (Er lässt die Arme wieder fallen) „Nee, die Königin der Nacht ist zu opernhaft. Ich muss sachlicher von der Bühne gehen.“ (Erklärt mit fester Stimme): „Ich sehe meine Geschäftsgrundlage als Stiftungsdirektor akut gefährdet. Und die Art und Weise, wie Herr Wowereit meine Person angegangen ist, kommt mir wie Bossing vor. Ich gehe. Aber ich hinterlasse ein Konzept, das die Physiognomie der Opern erneuern wird. Guten Tag.“

Schindhelm nickt seinem Spiegelbild zu und probiert eine Drehung auf den Hacken. Dann klingelt sein Handy. Sein Chef, Kultursenator Flierl, ist dran.

Flierl (versöhnlich): „Michael, wir müssen reden. Geh nicht.“

Schindhelm: „Doch.“

Flierl (beschwörend): „Aber es geht doch um unsere gemeinsame Sache! Willst du wirklich unsere schönen Opern dem Boss überlassen?“

Schindhelm (trotzig): „Soll er doch die Staatsoper in den Ruin treiben, was kümmert’s uns? Deine Amtszeit ist doch auch bald vorbei.“

Flierl (hebt zu einer Arie an): „Gehen? Ja, aber doch nicht so! Nicht um diesen Preis! Denk an dein Kind, dein Opernkonzept! Willst du es verwaist zurücklassen, ohne Zukunft?“

Schindhelm: „Hm.“

Blickt noch eine Weile nachdenklich in den Spiegel, dann geht er langsam ab.

Dritte Szene.Der Abgang (Aufführung)

Vor dem Sitz der Kulturverwaltung in der Brunnenstraße. Eine Meute Journalisten läuft aufgeregt vor dem Eingang auf und ab.

Chor der Medienleute: „Schindhelm geht! Der Boss hat ihn vergrault. Wer rettet jetzt die Staatsoper? Wird die Deutsche Oper zum Stagione-Betrieb?“

Flierl und Schindhelm kommen aus dem Gebäude.

Flierl: „Der Generaldirektor der Opernstiftung hat seine außerordentliche Kündigung in der Sitzung zurückgezogen.“

Chor der Medienleute (staunend): „Vom Rücktritt zurückgetreten! Welch’ tolles Ding!“

Flierl: „Das Vertragsverhältnis endet zum 1. 4. 2007. Bis dahin wird sich Herr Schindhelm der konzeptionellen Arbeit zur Fortentwicklung der Stiftung Oper in Berlin und der Einarbeitung seines Stellvertreters in die Aufgabe des Generaldirektor widmen.“

Schindhelm: „Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, um Emotionen spielen zu lassen. Es ist jetzt so, wie es ist.“

Beide gehen ab. Der Chor der Medienleute bleibt zurück. Das Raunen schwillt zur öffentlichen Debatte an.

Vorhang.