Mandat für den Sturzflug

Geben die „Tornados“ ihre Aufklärungsbilder nur „restriktiv“ weiter? Die Wirklichkeit ist wohl komplizierter als ein Kabinettsbeschluss

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Die Wirklichkeit auf dem Papier ist überschaubar und relativ ungefährlich. Die Aufklärungs-„Tornados“ der Bundeswehr dürfen in Afghanistan nicht zur Unterstützung von kämpfenden Einheiten am Boden eingesetzt werden. Die Kampfjets sollen zwar über das ganze Land fliegen, also auch über den umkämpften Süden Afghanistans. Aber die Nutzung ihrer Aufklärungsergebnisse durch amerikanische und britische Bodentruppen im Rahmen der Antiterroroperation „Enduring Freedom“ (OEF) soll „restriktiv“ geregelt werden. So steht es in einer Vorlage für die heutige Sitzung des Bundeskabinetts.

Die Regierung wird die Entsendung von sechs bis acht „Tornados“ nach Afghanistan beschließen. Sie fordert dafür – entgegen ihrer ursprünglichen Absicht – ein eigenes Mandat des Bundestages. Dieses soll auch die Entsendung von 500 Mann zusätzlich zu den 3.000 deutschen Soldaten erlauben, die bisher für die internationale Afghanistan-Schutztruppe Isaf abgestellt werden. Der „Tornado“-Einsatz ist bis zum 13. Oktober 2007 befristet. Nach bisherigen Planungen wird er 35 Millionen Euro kosten. Der Bundestag wird den Einsatz voraussichtlich in der ersten Märzwoche beschließen.

Also alles wie gehabt? Die Deutschen halten sich aus dem Krieg in Afghanistan heraus – während ihre Verbündeten die schmutzige Arbeit erledigen? Die Bundeswehr baut im halbwegs sicheren Norden des Landes Häuser und Brunnen, dazu liefern zukünftig die „Tornados“ Luftaufnahmen aus großen Höhen und Entfernungen, also ohne größeres Risiko – während die US-Amerikaner und Briten im Süden Taliban-Terroristen jagen, Mohnfelder verbrennen und friedliche Dörfer bombardieren? Dieses von der Bundeswehr gern gezeichnete Bild stimmte eh nie. So sind seit Jahren deutsche Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) beim blutigen Antiterrorkampf dabei, ohne dass die Öffentlichkeit und das Parlament je etwas davon erfahren. Der „Tornado“-Einsatz in Afghanistan bringt Deutschland jedoch militärisch in eine neue Lage. Die Gefahr direkter Kämpfe gegen aufständische Taliban und die Zivilbevölkerung rückt näher.

Die militärische Wirklichkeit am Hindukusch ist eben viel verworrener und gefährlicher als die Wirklichkeit eines Kabinettsbeschlusses. Auch wenn der „Tornado“-Einsatz unter Isaf-Kommando stattfinden soll und nicht unter dem des Antiterrorkampfes OEF – praktisch droht eine Vermischung beider Operationen. Nicht nur der grüne Verteidigungspolitiker Winfried Nachtwei fürchtet, dass die „Tornados“ dafür eingesetzt werden sollen, um Stellungen feindlicher Taliban-Kämpfer aufzuspüren, die dann von den Nato-Partnern unter nur geringer Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung bekämpft werden. Selbst in der Bundeswehr betrachtet man die Trennung zwischen Isaf und OEF nur als theoretisch. Über die Nutzung der von den „Tornados“ gelieferten Bilder entscheidet der Nato-Oberkommandierende in Afghanistan. Dies ist US-General Dan McNeill. Er dürfte eine Trennung beider Missionen kaum unterstützen.

Genährt werden diese Befürchtungen durch Berichte von „Tornado“-Piloten in der Heimat. Am Wochenende traten in mehreren Fernsehsendern Piloten anonym vor die Kameras und berichteten von Close-Air-Support-Übungen, also genau jener Luftnahunterstützung von Kampfhandlungen, die die Regierung ausschließt. Diese Übungen seien vor der Verlegung nach Afghanistan ins Trainingsprogramm genommen worden. Aus der Bundeswehrführung hieß es dazu, dass man „den Ernstfall“ natürlich auch trainieren müsse. Im Ernstfall aushelfen dürfen die Bundeswehrpiloten nur, wenn Soldaten der Isaf-Schutztruppe oder Terrorjäger der „Operation Enduring Freedom“ am Boden in Lebensgefahr geraten.

„Wer ‚Tornados‘ nach Afghanistan schickt, muss damit rechnen, dass deren Informationen auch direkt im Antiterrorkampf verwendet werden“, sagt Winfried Nachtwei zur taz. „Alles andere ist Augenwischerei.“ Für den grünen Verteidigungspolitiker ist ohnehin nicht die entscheidende Frage, ob Bundeswehrsoldaten Kampfhandlungen unterstützten. Der „Knackpunkt“ liege woanders: „Unterstützt die Bundeswehr dabei eine kontraproduktive oder eine aussichtsreiche Nato-Strategie?“

Die Koalitionsfraktionen dürften den Regierungsbeschluss mehrheitlich unterstützen. Für sie ist die Abgrenzung zwischen Isaf und Antiterrorkampf ausreichend. Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, erinnert hingegen daran, dass auch der Isaf-Operationsplan den Kampf gegen die Taliban vorsehe. „Es wird in Deutschland oft so getan, als wenn die Isaf die Guten sind und die OEF die Schlechten.“ So sei es aber nicht. Daher hält Arnold auch wenig von einer strikten Trennung der Datenweitergabe. Sie sei ohnehin nicht praktikabel. Auf so viel Ehrlichkeit trifft man in diesen Tagen nicht häufig im Regierungslager.