Techno als Jazz

Auf den ersten Blick scheint die beiden Genres recht wenig zu verbinden: Techno steht mit einigem Grund für repetitive (manche würden sagen: monotone) Maschinenrhythmen, künstliche Klangwelten aus Synthesizer oder Computer und überhaupt für ein eher starres Viervierteltaktgewand, das kaum Spielraum für Variation zu lassen scheint. Und improvisiert, wie im Jazz eigentlich Spielvoraussetzung, wird da in der Regel schon gar nicht. Man muss als Technoproduzent nicht einmal ein herkömmliches Instrument beherrschen.

 Jazz scheint in so ziemlich allem das genaue Gegenteil davon zu sein: Aus dem spontanen Miteinander geboren, melodisch, harmonisch und auch rhythmisch flexibel, setzt diese Musik nicht nur voraus, dass man es als Instrumentalist zu einiger Fingerfertigkeit gebracht hat, man muss auch eine ganze Menge Echtzeitrechenprozesse beherrschen, um auf die Kollegen und ihre diversen Einfälle reagieren zu können.

Warum haben Technoproduzenten dennoch von Anfang an die Nähe zu dem scheinbar so artfremden künstlerischen Parallelbetrieb gesucht und das Wort „Jazz“ ganz selbstverständlich im Munde geführt? Die Detroiter Produzentenlegende Carl Craig etwa gab vor zwanzig Jahren seiner ersten Platte auf dem eigenen Label Planet E den Titel „4 Jazz Funk Classics“ (s. Seite 25). Dabei mag er an den unjazzigen Industrial-Synthesizerpop von Throbbing Gristles Album „20 Jazz Funk Greats“ gedacht haben. Tatsächlich hatte das Ergebnis weit mehr mit Jazz und Funk zu tun, als man auf den ersten Blick vermuten sollte, auch wenn hier nichts improvisiert wirkte und sich keine Soli über den dicht gewebten Texturen erhoben.

Es sollte nicht bei der bloß nominellen Aneignung des Begriffs bleiben. DJs wie Ricardo Villalobos bestritten schon mal ganze Sets ausschließlich mit Musik des insbesondere für Jazz bekannten Labels ECM, und eine Reihe von Produzenten gibt an, dass sie bei der Arbeit an Tracks zunächst einmal improvisieren. Ironischerweise spielte Craig für sein Projekt Innerzone Orchestra dann sogar mit leibhaftigen Jazzern ein Album unter dem Titel „Programmed“ ein – verzichtete aber weitgehend auf programmierte Klänge.

Diese Art von Nähe zwischen Mensch und Maschine braucht einen nicht weiter zu stören, sie lenkt jedoch von einer grundlegenden Idee ab: Denn warum sollte nicht auch improvisationsfreie Computermusik für sich in Anspruch nehmen, eine neue Form von Jazz zu sein, Fusion der abstrakteren Art? Ein aufgeschlossener Kopf wie Miles Davis hätte gegen den Gedanken sicher nichts einzuwenden gehabt.

TIM CASPAR BOEHME