Ortstermin: Am Tiefpunkt
: Der Untergang des Wahlkreises Steinburg

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Die „Tiefste Landstelle Deutschlands“ liegt direkt neben der Landstraße 135 im Kreis Steinburg, Schleswig-Holstein. Man hat dem tiefsten Punkt einen eigenen Rastplatz gewidmet, ein hoher Pfahl ragt in den blauen Winterhimmel, darauf stehen die entscheidenden Marken: NN, Normal Null, liegt schon ziemlich hoch über den Köpfen, erst recht die diversen Sturmfluten. Am höchsten kam die vom 3. Januar 1976 mit 6,16 Metern. Ganz oben am Pfahl, bei acht Metern, hört der Elbdeich auf.

Wenn die Prognosen zum Ansteigen der Meeresspiegel stimmen, werden acht Meter kaum reichen, dann ist hier irgendwann Land unter, die Gehöfte sind weg, die Weiden und Zäune, die Kegelbahn im nächsten Dorf, bei der die Straße eine 90-Grad-Kurve macht. Der ganze Landkreis Steinburg unter Nordsee-Wasser, und Jörn Thießen, SPD-Bundestags-Abgeordneter aus Itzehoe, stünde ohne Wahlkreis da. „Dieser Wahlkreis muss gerettet werden“, ruft Thießen in die Winterluft, er trägt einen roten Schal. Er müsste nicht so laut rufen, außer ihm sind nur noch sein Vater, seine Mitarbeiterin aus dem Wahlkreisbüro, der stellvertretende SPD-Bürgermeister vom Nachbardorf und zwei Pressemenschen da. Aber Thießen tut das wohl, um die Dringlichkeit seines Anliegens zu unterstreichen.

Der Abgeordnete, der 2005 über die Landesliste der SPD in den Bundestag einzog, ist sonst eher ein Mann des Hintergrunds. Der Theologe war mal persönlicher Referent des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Björn Engholm, später arbeitete er im Büro des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping. Im Bundestag sitzt er im Verteidigungsausschuss.

Mit dem Klimawandel habe er bisher nur indirekt zu tun gehabt, gibt Thießen zu. „Aber ich wollte schon immer was an der tiefsten Stelle Deutschlands machen.“ Und die liegt nun mal in seinem Wahlkreis. Die UNO-Studie zur Erderwärmung kam da gerade recht, aus symbolischen Gründen hat er die Pressekonferenz um fünf vor zwölf anberaumt. Er habe sich erst überlegt, im Taucheranzug zu kommen, erzählt der Abgeordnete. Aber dann habe er gedacht, „das ist ein ernstes Thema, das soll man nicht veräppeln“.

Und so steht Thießen ohne Taucheranzug da und verteilt eine „Checkliste Klimaschutz“, in der steht, was zu tun ist. Die Vorschläge sind nicht neu, aber Thießen möchte jetzt Ernst machen. Unter den SchülerInnen seines Wahlkreises will er einen Ideenwettbewerb ausrufen, die Gewinner dürfen ihre Idee in Berlin vorstellen, dort will er einen Termin im Umweltministerium organisieren.

Es ist kalt an diesem Mittag, der stellvertretende SPD-Bürgermeister des Nachbardorfs reibt die frostigen Hände, während Thießen sich vor einem Schild fotografieren lässt, das das Phänomen „Tiefste Landstelle Deutschlands“ erklärt. Thießen macht dazu eine Bewegung mit der Handkante, die zeigen soll, dass der Menschheit das Wasser bis zum Hals steht. Nur dass es hier ein paar Meter höher stände als anderswo. Das ist eigentlich alles. DANIEL WIESE