Heute schon die Welt gerettet?

taz-Buchreihe Jammern reicht nicht, hier kommt ein Sachbuch mit Gebrauchswert

In Zusammenarbeit mit dem Westend Verlag erscheint künftig jeweils im Frühling und im Herbst ein taz-Buch. Das bedeutet: ein bestimmtes Sachthema, geschrieben von mehreren taz-AutorInnen. Es wird viel um Politik gehen, aber auch um Lebensweltliches. Hierbei handelt es sich nicht um eine Zweitverwertung von taz-Artikeln – alle Texte werden für die Bücher geschrieben. Der Westend Verlag hat seinen Sitz in Frankfurt, hat sich einen Namen mit linken Sachbüchern gemacht und kooperiert seit 2008 mit dem Piper Verlag.

VON INES POHL

Millionen von Toten in den aktuellen Kriegen, tausende vergewaltigte Frauen, misshandelte Mädchen, Billionen ungedeckter Schulden in den Blasen der Finanzmärkte und gleichzeitig eine langwierige Diskussion, ob 5 oder 6 Euro mehr Hartz IV angemessen sind.

Extreme Temperaturveränderungen an den Polen, fortschreitender Kahlschlag an den grünen Lungen des Planeten, Bodenzerstörung, Artenvernichtung – und gleichzeitig eine „Umweltplakette“ für 300-PS-Panzer in Innenstädten. Trotz des seit Jahrzehnten wachsenden Wohlstands eine Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Gemeinwohl und Eigennutz, die immer weiter auseinanderklafft. Und weil Medien und Politiker miteinander um Aufmerksamkeit konkurrieren, wird auch das Klagen über diesen Zustand der Welt immer lauter und schriller.

Und was nicht in eine knallige Überschrift passt, geht unter in dieser Inszenierung einer Welt, die angeblich immer undurchschaubarer, immer komplexer, immer unbezwingbarer wird.

Wenn wir behaupten, die Welt sei überkomplex und unübersichtlich, schwingt immer auch die faule Behauptung mit, wir selbst seien darin ohnmächtig und hilflos. Generieren wir uns selbst als machtlos, entbinden wir uns auch jeder Pflicht, die Welt zu verändern. Dieser Einsicht ist das neue taz-Buch gewidmet

In „50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern“, geht es nicht um Revolutionsentwürfe, nicht um theoretische Forderungen, sondern um machbare, praktische Hinweise und Verbesserungsvorschläge; nicht um ein Rezeptbuch zur Rettung der Welt – irgendwann, sondern um Anregungen, vor Ort und bei sich selbst anzufangen . Dabei sollten wir uns nicht vom Großen, vom Überirdischen überfordern lassen, sondern uns fordern lassen vom Kleinen, vom Naheliegenden, vom Machbaren. Und zwar jetzt. Denn eine zweite, eine bessere Welt wird uns nicht anvertraut werden. Dass der Westend Verlag für ein solches Buch auf ein Projekt wie die taz zukommt - und dass mit Ute Scheub, Jürgen Gottschlich und Mathias Bröckers drei „Urgesteine“ aus der Gründergeneration die Redaktion übernommen haben –, ist kein Zufall. „Wir warten nicht auf bessere Zeitungen“, war vor über 30 Jahren die Parole der taz-MacherInnen, und sie fingen vor Ort und einfach selbst damit an. Dieser Esprit und diese Hemdsärmligkeit einer kleinen Gruppe Engagierter – aus dem mittlerweile eine Genossenschaft mit über 10.000 Mitgliedern, eine Tageszeitung mit über 200.000 LeserInnen pro Tag und eine unüberhörbare Stimme in der Öffentlichkeit geworden ist – ein solcher zupackender Geist scheint heute wieder notwendiger denn je. Und die 50 einfachen Dinge und Überlegungen, die im Folgenden präsentiert werden, zeigen auf, wo solche engagierten Geister und nachdenkende AktivistInnen heute gefragt sind. Die Auswahl, die wir getroffen haben, erhebt keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit, sehr wohl aber auf Notwendigkeit und Machbarkeit. Das vielfältige Spektrum der Themen sollte jeden an gesellschaftlichem Wandel Interessierten etwas finden lassen. Das Scheitern der großen Ideologien des 20. Jahrhunderts – des ungezügelten Kapitalismus ebenso wie die des staatszentrierten Sozialismus – lässt uns für das kommende Jahrhundert nur eine Alternative, wenn die Menschheit die Klima-, Hunger- und Finanzkrisen überleben soll: eine gemeinwohlorientierte ökologische Gesellschaft. Diese hat mit den alten zentralistischen Sozialismusvorstellungen so wenig zu tun wie mit einer von marodierendem Finanzkapital abhängigen Weltwirtschaft. Ihr zentrales Paradigma ist ein Gemeinwohl, das die Ideologie ewigen Wirtschaftswachstums durch Gemeinwohlbilanzen und Bruttosozialglück ersetzt. Sie ist weitgehend dezentral organisiert, sie fördert regionale Autonomie und die freiheitliche Selbstbestimmung der Menschen, sie behandelt die der ganzen Menschheit gehörenden Gemeingüter Wasser, Boden, Luft, Pflanzen und Tiere oder auch Wissen, Sprache und Kultur mit Fürsorge.

Es geht nicht um Revolutionsentwürfe, sondern um kleine Schritte

In einer gemeinwohlorientierten Gesellschaft werden kontraproduktive Machthierarchien zunehmend durch Selbstorganisation und freiwillige Kooperation von Gleichberechtigten ersetzt. In ihrer Konzentration auf die konsequente ökologische Nutzung von Energie- und Stoffströmen vor Ort beruht sie auf dem Subsidiaritätsprinzip – im Zweifel für die kleinteilige Struktur und nicht den Weltmarkt –, und dennoch ist sie weltoffen und per Internet mit dem ganzen Globus verbunden und der ganzen Welt verpflichtet. Denn in dieser globalisierten Welt ist auch das kleinste Dorf von dem betroffen, was die Großen beschließen und umsetzen.

Dieses Buch gibt also Anstöße und Anregungen zu Veränderungen, die sich in vielen Bereichen bereits abzeichnen: in den Debatten über common goods oder über das Grundeinkommen, in den dezentralen erneuerbaren Energien, in der Reregionalisierung der Wirtschaft und der Rekommunalisierung der lokalen Grundversorgung, in den Ideen über Bruttosozialglück statt Bruttosozialprodukt, in der bis in die Naturwissenschaften reichenden Rückbesinnung auf Kooperation statt Konkurrenz. Nach mehr als hundert Jahren ideologischem Darwinismus und einseitiger Fixierung auf das „Überleben des Stärkeren“ zeichnen sich auch hier neue Einsichten ab: Die Evolution ist weniger dem Kampf ums Dasein geschuldet als vielmehr den Fähigkeiten zur Vertrauensbildung und gegenseitiger Hilfe. Ohne sie können sich auch unsere heutigen Gesellschaften nicht weiterentwickeln. Es sind dieselben Werte, auf denen die neue Gemeinwohl-Ökonomie beruht und die auch unsere Beziehungen gelingen lassen. Und gelingende Beziehungen – nicht nur in der Liebe, sondern auch bei der Arbeit, unter Freundinnen und Freunden, in der Nachbarschaft, in den verschiedenen Formen von Vergemeinschaftung – sind das, was glücklich macht.

In diesem Sinne hoffe ich, dass Sie zu dem Buch „50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern“ greifen und Ihnen die Lektüre auch ein Quäntchen Glück beschert – denn das Gefühl, etwas verstanden zu haben und schließlich in Handlung umzusetzen, kann eine Menge Glückshormone freisetzen