Falsch verhaftet

Zahnärzte und Lehrer müssen oft dran glauben: Mord nach Ansage beim Improvisationstheater Paternoster

Dienstagabend in Charlottenburg. Der U-Bahnhof Richard-Wagner-Platz versprüht den Charme einer öffentlichen Toilette. Dunkle Gestalten wandeln durch nasskalte Straßen. Im Café Theater Schalotte wird ein Eheberater auf offener Bühne ermordet. Zuschauer haben den Mord geplant: Kurt Krämer-Kleinlich, ein leidenschaftlicher Golfspieler, wurde um 8.15 Uhr am sechsten Loch erst erwürgt, dann erschossen, schließlich erschlagen. Die Indizien: ein Lippenstift, eine Stehaufkuh und ein reflektierendes Leuchtband.

Niemand im Raum kennt das Motiv oder weiß, wer der Täter ist. Letzterer wird unter den drei Verdächtigen ausgelost, der Beweggrund für die Bluttat wird schlichtweg improvisiert. Mordart heißt diese leicht makabre Form des Improvisationstheaters, mit der die Gruppe Paternoster einmal im Monat das Café Theater Schalotte bespielt. Das Krimiformat wurde 2001 von den Bochumer Hottenlotten entwickelt. „Eigentlich lebt Improtheater von der spontanen Interaktion zwischen Zuschauern und Spielern“, erklärt Dörthe Engelhardt, Mitbegründerin der Hottenlotten und jetzt bei Paternoster, „niemand weiß vorher, was auf der Bühne geschehen wird.“

Ein Krimi aber wird meist von hinten aufgerollt. Erst kommt der Mord, dann kommen die Verdächtigen, am Schluss folgt die Ermittlung des Täters. Schwierige Bedingungen für eine Kunstform, die ohne Absprachen aus dem Stegreif nach Vorgaben des Publikums entstehen soll. Die Hottenlotten entwickelten eine Art Krimischablone, „das Prinzip ‚Derrick‘ “, sagt Engelhardt.

Vor zwei Jahren hat sie Mordart auch in Berlin etabliert. Neben dem Bühnenrausch in Prenzlauer Berg wird Charlottenburg zum Tatort. Jeder Fall hat festgelegte Stationen und Personage. Charakter des Opfers, Tatort und eben die Mordart werden vom Publikum bestimmt.

„Es gibt bevorzugte Themen“, räumt Dörthe Engelhardt ein. Zahnärzte und Lehrer müssen besonders oft dran glauben. Toiletten werden regelmäßig vollgeblutet. Wie überhaupt das Schlüpfrige äußerst beliebt ist. „In Bochum hatten wir dreimal ‚zu Tode gefickt‘ “, sagt die Schauspielerin und schüttelt sich, „dann lieber ‚vom Esel gefressen‘ oder ‚Atombombe‘.“ Die Zuschauer schreiben die Mordart zu Beginn auf kleine Zettel, die ausgelost werden.

Mordart hat sich ein Stammpublikum herangezogen, das seinen Teil zur Interaktion beisteuert: die Indizien, die zur Überführung des Täters dienen sollen. Dörthe Engelhardt lacht: „Wir hatten schon ein Einrad, einen Puppenwagen und ein Telefonbuch auf der Bühne.“

Die Kunst des Improvisierens zeigt sich vor allem in der Aufmerksamkeit der Spieler untereinander. Wenn der verlassene Ehemann von einer gemeinsamen Liebesnacht mit der Masseurin berichtet, muss diese die Vorlage annehmen. Jeder Spieler gibt der Geschichte eine neue Wendung. Mordart schafft den Spagat zwischen freiem Spiel und spannendem Krimi. In Charlottenburg wird an diesem Abend der Falsche verhaftet. In guten Krimis passiert so was.

LEA STREISAND

„Mordart“ wieder am Samstag, 25. 11., im Bühnenrausch, Prenzlauer Berg, Erich-Weinert-Str. 27. Info unter www.paternoster-berlin.de