„Wir sind eben nicht gleichberechtigt“

FRAUENBEWEGUNG Brauchen wir sie noch? Auf jeden Fall, sagt die Hamburger Frauenrechtlerin Christa Randzio-Plath – und spricht über Kitschromane, ungleiche Bezahlung und die Notwendigkeit einer Frauenquote

■ 70, wurde in Ratibor geboren, arbeitet als Rechtsanwältin und lehrt an der Universität Hamburg. Schon früh engagierte sie sich politisch: Mit 12 Jahren gründete sie in der Schule einen Arbeitskreis, um über den Holocaust aufzuklären: Man könne nicht in die Zukunft blicken, ohne die Vergangenheit zu bewältigen, so ihre Überzeugung. Während ihres Jura- und Soziologie-Studiums gründete sie die erste europäische Jura-Studentenvereinigung – und in dieser Zeit begann auch ihr Kampf gegen die Unterdrückung der Frau. Als SPD-Mitglied saß Randzio-Plath drei Jahre in der Hamburger Bürgerschaft und fünf Jahre im Europäischen Parlament. Heute ist sie unter anderem erste Vorsitzende des Landesfrauenrates Hamburg.

INTERVIEW ILKA KREUTZTRÄGER

Frau Randzio-Plath, seit 40 Jahren engagieren Sie sich für die Rechte der Frauen und fordern jetzt, dass Hamburg wieder die frauenfreundlichste Stadt Deutschlands werden soll. Wieso wieder?

Hamburg hatte mal eine Vorreiterrolle. In den 70er Jahren war die große Zeit der Frauenprojekte, der Mädchenberatungsstellen, der Frauenhäuser, und Hamburg hatte die bundesweit erste Gleichstellungsstelle. Heute ist die Gleichstellung der Frau beispielsweise nur noch Thema für ein Referat und nicht mehr für eine Senatorin.

Das kann auch als Erfolg interpretiert werden: Wozu müssen wir uns noch kümmern, wenn wir gleichberechtigt sind?

Das sind wir eben nicht! Es wird heute lediglich jede erfolgreiche Frau als Demonstrationsobjekt dafür vorgezeigt, dass Frauen inzwischen an Männern vorbeigezogen seien. Aber die Lebenslagen der Frauen sind andere.

Was ist die Antwort der Frauenbewegung?

Wenn 80 Prozent der prekären Beschäftigungsverhältnisse in den Frauenhänden sind, wissen wir, dass sie mit ihrem Einkommen kein Auskommen haben.

Und nun?

Es ist so: Von den vielen Zielen der ersten Frauenbewegung, die 1911 eine große Rolle spielten, sind nur das Frauenwahlrecht und das Recht auf Bildung erreicht. Und damals hatten viele der Frauen die Illusion, dass mit dem Frauenwahlrecht alle Probleme gelöst seien.

In der Tat eine Illusion.

Ja. Heute müssen wir feststellen, dass Armut noch immer ein Frauenproblem für Ältere und Alleinerziehende ist. Das ist völlig unabhängig von den Karrierefrauen, die für die Durchschnittsfrau unerreichbar sind. Das ist wie in diesen Kitschromanen, in den Frauen über andere Frauen lesen, die ihren Märchenprinzen finden und fortan glücklich in einem Schloss leben. Geschichten über erfolgreiche Frauen funktionieren nach dem gleichen Strickmuster. Die durchschnittlichen Frauen haben zwar keinen Zugang zu deren Welt, aber sie lesen gern über sie.

Die Durchschnittsfrau gibt sich also mit dem Lesen von Kitschromanen zufrieden?

Kitschromane und bunte Magazine sind für die Frauen eine Flucht aus der Wirklichkeit, die vielfach sozial hart ist. Ich mache nicht der einzelnen Frau einen Vorwurf, denn sie ist in die Strukturen und Auffassungen einer Gesellschaft eingebettet. Und Deutschland ist frauenpolitisch ein Entwicklungsland.

Woran liegt das?

Die Wertschätzung eines Menschen ist beispielsweise in den nordischen Staaten größer. Dort lernen die Kinder schon im Kindergarten, dass jeder einzelne Mensch zählt, und das wirkt sich auch auf das Geschlechterverhältnis aus.

Ein Beispiel?

„Bei der ersten Wahl nach der Einführung des Frauenwahlrechts haben fast 90 Prozent der Frauen gewählt. Wieso können wir nicht heute auch so viele sein?“

Ich erinnere mich noch an meine Vermieterin in Brüssel. Sie hatte vier Kinder und konnte morgens entscheiden, ob sie ihre Kinder um acht, um zwölf Uhr oder sonst wann in die Krippe brachte. Flexible Arbeitszeit und bezahlte Kinderbetreuung machen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf deutlich leichter und selbstverständlicher.

Was kann eine Frauenquote da bewirken?

Wir brauchen die Quote, um Ziele zu verwirklichen. Sie ist für mich ein einfaches Instrument, an dem abzulesen ist, was eintritt und was nicht. Ich habe früher auch die Auffassung vertreten, dass allein Leistung zählt, heute weiß ich, dass die hier existierende Geschlechterdifferenz die größte soziale Ungleichheit ist und ein strukturelles und kein individuelles Problem.

Was bedeutet das für die Frauen heute?

Es geht auch darum, dass die jungen Frauen definieren sollen, in welcher Welt sie leben wollen. Ich finde die Gleichgültigkeit gegenüber öffentlichen Entscheidungen – von den wenigen Protesten mal abgesehen – haarsträubend. Die Wahlbeteiligung von 58 Prozent in Hamburg ist enttäuschend. Und es heißt ja, dass die jungen Frauen noch weniger wählen als die älteren Frauen. Offenbar sehen die jungen Frauen keinen Grund, sich einzumischen.

Ich finde, dass es eine verdammte Pflicht ist, zu wählen und sich zu engagieren. Bei der ersten Wahl nach der Einführung des Frauenwahlrechts haben fast 90 Prozent der Frauen gewählt. Wieso können wir nicht heute auch so viele sein?