SEHEN
: Wie ist Ihr Zuhause?
„Will sie, dass ich sie nackt sehe?“

UMFRAGE Lisa Bassenge, Joana Zimmer, Sarah Wiener, Moritz Rinke und Matthias Frings über ihren Sinn des Wohnens

Matthias Frings, was sehen Sie, wenn Sie aus Ihrem Fenster schauen?

Ein klassisches Berliner Haus, glücklicherweise nicht mehr die Originalfassade. Sie war früher sehr geschmacklos und überladen. Ich sehe auch Menschen, habe Restaurants und Bars vor der Nase. Das beruhigt mich. Diese städtische Grundmelodie. Ich wohne im Dachgeschoss. Die Leute gegenüber haben immer die Rollos zu. Sie haben wohl Angst, ich könnte ihnen reingucken. Im zweiten Stock wohnt eine Frau, die fällt mir seit Jahren auf. Die hat keine Vorhänge, ist oft nackt und verhält sich so, als könnte sie niemand sehen. Da hab ich oft drüber nachgedacht: Will die das? Als ich noch in Kreuzberg gewohnt habe, konnte ich immer sehen, wie sich die Türkenjungs von gegenüber selbst im Spiegel bewundern. Bis dahin war mir nicht bewusst, dass die so eitel sind.

In Matthias Frings, 57, neuem Buch „Ein makelloser Abstieg“ beobachtet ein Journalist seinen Nachbarn, einen ehemaligen Fernsehmoderator, durchs Fenster.

TASTEN
„Pink ist meine Lieblingsfarbe“

Joana Zimmer, wie machen Sie sich eine neue Wohnumgebung heimisch?

Mir ist Ordnung wichtig, denn ein Stück Freiheit besteht darin, nicht überlegen zu müssen, wo sich ein Gegenstand befindet. Meine Räume müssen klar strukturiert sein, in den Raum hineinragende Pfosten oder verschnörkelte Oberflächen kann ich nicht gebrauchen. Das Bett in meiner Berliner Wohnung sieht aus wie ein riesiger iPod. Trotz meiner Blindheit kann ich Lichtstimmungen voneinander unterscheiden – ich habe viele Lampen. Auf Tour verschafft mir ein kleines Klapptischchen ein Gefühl von Zuhause. Das stelle ich auf meinem jeweiligen Hotelnachttisch auf. Es ist pink – meine Lieblingsfarbe. Ich habe Pink noch nie gesehen, weiß aber intuitiv, dass es frisch und kräftig ist. Wie Grapefruits.

Die Sängerin und Musikerin Joana Zimmer, 28, ist von Geburt an blind. Sie pendelt zwischen ihren Wohnungen in New York und Berlin. Derzeit ist sie mit ihrer Konzertreihe „Diva in the Dark!“ auf Tour.

SCHMECKEN
„Das schmeckt nach Zuhause“

Sarah Wiener, was zeichnet denn für Sie einen appetitlichen Raum aus?

Ein Raum kann für mich nicht appetitlich sein, sondern das Essen. Und mal auf dem Sofa ein gutes Buch zu lesen und sich zwischendurch selbst geknackte Nüsse in den Mund zu stecken, kann schon sehr befriedigend sein. Ein schön gedeckter Tisch und geliebte Menschen gegenüber sind aber trotzdem nicht zu toppen. Aber am appetitlichsten ist für mich ein selbst gekochtes Essen in meinen eigenen vier Wänden. Das schmeckt dann nach Zuhause.

Sarah Wiener, 49, ist Köchin und Buchautorin und lebt in Berlin. Bekannt wurde sie durch Fernsehauftritte und ihre Restaurants in der Hauptstadt, wie Das Speisezimmer oder Hamburger Bahnhof.

RIECHEN
„Für mich gibt es Dekadengerüche“

Moritz Rinke, hat Heimat ihren eigenen Geruch?

Übernimmt man den Geruch einer Wohnung? Oder gibt man der Wohnung einen Geruch? Was war zuerst da? Könnte man je sagen, seine eigene Wohnung betretend: Hier riecht es aber gut? Vielleicht einfach nur vertraut? Es gibt Leute, die leben in den schrecklichsten Gerüchen, aber sie lieben sie. Ich glaube, es gibt Dekadengerüche. Die Achtziger rochen so, die Neunziger so. Und es könnte sein, dass die nächsten Jahrzehnte immer diffuser oder kollektiv geruchsloser werden und vielleicht am Ende nur deshalb, weil es so viele Waschmittel gibt und jeder so unterschiedlich in seiner Küche würzt. Ich selbst liebe am meisten den Geruch von Sommermoorwiesen nach einem Regenguss. Ich weiß nur nicht, wie ich das in meine Wohnung kriege.

Moritz Rinke wurde 1967 in Worpswede bei Bremen geboren und lebt heute als freier Autor in Berlin. Im Jahr 2010 veröffentlichte er seinen Debütroman „Der Mann, der durch das Jahrhundert fiel“.

HÖREN
„Und morgens gibt’s Gebrüll“

Lisa Bassenge, wie klingt Ihre Wohnung?

Meine Wohnung klingt immer anders, je nach Tageszeit. Morgens hört man meistens mein Gebrüll: „Anziehen! Warum muss ich alles zehnmal sagen!“ Und dann die Stimmen meiner Kinder: „Ich will aber nur noch schnell den Reiterhof aufbauen … was vorgelesen haben … mich verkleiden“ und so weiter. Dann kehrt kurz Ruhe ein und man hört nur die Autos draußen auf dem Kopfsteinpflaster und vielleicht das Grummeln meiner Spülmaschine. Wenn ich in Berlin unterwegs war und wieder heimkomme, klingt schon der Schlüssel in der Tür nach Zuhause. Ich komme rein und lege erst mal eine Platte auf. Zurzeit vorzugsweise Claudio Arrau und das London Philharmonic Orchestra. Dazu brodelt kurz der Wasserkocher. Später dann, wenn ich die Musik ausschalte, höre ich das stille Summen der elektrischen Geräte.

Lisa Bassenge, 36, ist Sängerin und Komponistin. Ihre Musik bewegt sich zwischen Blues, Jazz und Pop. Derzeit tourt sie mit Ihrem Album „Nur fort“. Fotos: Promo (5)