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SEHEN Architektur und Transparenz: Spaziergang durch Erdgeschosse

Erdgeschosswohnungen gelten als billiger als Etagenwohnungen. Der Berliner Mietspiegel aus dem Jahr 2007 führt die Lage einer Wohnung im Erdgeschoss als Sondermerkmal und stellt eine im Schnitt 19 Cent pro Quadratmeter günstigere Miete fest als am jeweiligen Ort üblich. Im aktuellen Mietspiegel gilt nur die Lage im Souterrain oder der Kellerwohnung als „den Wohnwert mindernd“. Dass Erdgeschosswohnungen den Ruf haben, billiger zu sein als andere Wohnungen, liegt auch an einer traditionellen Vorstellung von Wohnen in der Stadt. Denn in den Gründerzeithäusern des 19. Jahrhunderts bedeutete „Gutes Wohnen“ wohnen in der Beletage, also dem 1. Stock, während die Erdgeschosse für Arbeitsräume und Ladenlokale vorgesehen waren.

VON ANNA MAYRHAUSER

Die Suchkriterien: Weniger als 340 Euro warm, bis 40 Quadratmeter. Immoscout24.de empfiehlt die Notschlafstelle in Berlin-Kreuzberg.

Ein paar Tage später vor einer kleinen Wohnung im Friedrichshainer Simon-Dach-Kiez. Drei Menschen warten auf die Maklerin. Eine Studentin. Eine Mutter mit einem kleinen Mädchen. Eine Frau um die 40, die später nach den Mietbedingungen für Jobcenter-Kunden fragen wird. Schon von der Straße aus sehen sie in die Einzimmerwohnung im Erdgeschoss und schon von der Straße aus können sie sehen, dass die Bilder im Internet gelogen haben. Hier gibt es offensichtlich keine Dielen und im Gegensatz zu den Beispielfotos im Internet dringt kein einziger Sonnenstrahl in den kleinen Raum. Auf dem Fensterbrett der Nachbarwohnung steht eine leere Bierflasche. Die Vorhänge sind zugezogen.

38 Quadratmeter, Neukölln. Dort, wo die Szene-Barbetreiber noch keine leer stehenden Ladenlokale gemietet haben. Autos parken vor den zwei hohen Altbaufenstern. Der Makler steht in der Wohnung und grummelt. Er antwortet nicht auf Fragen. Schon viele Menschen haben sich die Wohnung angesehen. Fünfzehn weitere sehen sie sich gerade an. Zwei Jungen im Grundschulalter spielen auf dem Bürgersteig Fußball. Ihre dunklen Haarschöpfe blitzen immer wieder vor dem Fenster auf. Ein älterer Herr sagt zu seinem Sohn: „Ist doch gar nicht so schlecht für Erdgeschoss.“ Der nickt, blickt zur Decke. Auf den Mauervorsprung des Küchenfensters hat jemand in wackeligen Buchstaben das Wort „Koma“ geschrieben. 250 Euro warm. Der Makler muss nicht lächeln.

61 Quadratmeter, Wedding. Zwischen afrikanischem Supermarkt und Beauty-Studio liegt eine Wohnung, deren Makler aus dem Westernsaloon von gegenüber zu stammen scheint. Unter seiner strengen Hand leert sich die Wohnung mit dem Ausblick auf die Mülltonen im Hof genauso schnell wie sie sich gefüllt hat. Eine türkische Familie bleibt. Der Vater begutachtet die Fensterrahmen. „Nicht öffnen“, brüllt der Makler. Außerdem dürfe die Wohnung nur von zwei Personen bewohnt werden. Zurück auf der Straße. Die Rollläden der Ladenlokale sind geschlossen. Darauf geschmiert sind bunte Graffiti. Eine Erleichterung nach der engen Wohnung, ihrer hintereinander angeordneten, immer dunkler werdenden Zimmerfolge.

55 Quadratmeter, Charlottenburg. Breite Straßen, von Licht durchflutet. Gegenüber dieser Charlottenburger Wohnung liegt der Garten einer Grundschule. Das großzügige, bürgerlich wirkende Haus ist gelb gestrichen, die Wege im Innenhof mit Kopfstein gepflastert. 400 Euro warm. Dafür darf der zukünftige Bewohner von seiner Küche und seinem Wohn- und Schlafzimmer auf den Garten und die Terrasse seiner Nachbarn blicken. Die Vorteile des Erdgeschosses sind immerhin in Sichtnähe. Außerdem sähe er: einen Sportplatz. Und ausnahmsweise viel Himmel. Eine potenzielle Mieterin sucht nach der nicht vorhandenen Terrassentür. Als sie sie nicht findet, ist sie empört. Eine alte Chinesin schüttelt immer wieder den Kopf. „Hier kann man doch nicht wohnen. Das einzig Schöne ist die Straßenlaterne im Hinterhof.“

51 Quadratmeter, Prenzlauer Berg. Auch hier sind die Jalousien heruntergelassen. Der derzeitige Mieter führt durch die Zweizimmerwohnung in einem Fünfzigerjahrekomplex. Draußen ist es bereits dunkel. Eine gute Zeit, um Erdgeschosswohnungen zu präsentieren.

Gleich um die Ecke eine Townhouse-Siedlung. In der Dunkelheit wirken deren große, zur Straße hin ausgerichteten Fenster wie Schaufenster. Als sollten die dahinter sichtbaren Bilder, gefüllten Bücherregale und Schreibtische der Bewohner verkauft werden. Doch auch hier sind die meisten Vorhänge geschlossen.