Ende eines Kirchenasyls

Nach 165 Tagen kann eine vietnamesische Familie die Kirche im niedersächsischen Hoya verlassen: Ihr Fall wurde vor der Härtefallkommission zugelassen. Der Pastor spricht von einem „überparteilichen Instinkt für Menschlichkeit“

Ihr einjähriger Sohn hat in der Kirche laufen gelernt, seine Eltern haben in den vergangenen 165 Tagen die Martin-Luther-Kirche im niedersächsischen Hoya nicht verlassen. Nun wurde der Fall der von der Abschiebung bedrohten vietnamesischen Familie Nguyen bei der Härtefallkommission des niedersächsischen Landtags zugelassen. „Es gibt doch noch einen überparteilichen Instinkt für Menschlichkeit“, freute sich gestern Pastor Andreas Ruh. Er hatte die Familie in einem nur durch eine Flügeltür vom Kirchenraum abgetrennten Zimmer untergebracht.

In den vergangenen Monaten waren Landtags- und Bundestagsabgeordnete von CDU, SPD, Grünen und FDP nach Hoya gekommen, um die Nguyens zu besuchen. Auch die evangelische Landesbischöfin Margot Käßmann setzte sich für die Nguyens ein: Sie könne nicht nachvollziehen, warum die Flüchtlinge „brutal aus ihrem Lebensmittelpunkt gerissen und in ein Land abgeschoben werden sollen, das die Kinder überhaupt nicht kennen“. Bis die Härtefallkommission in etwa acht Wochen entschieden hat, ob die Nguyens in Deutschland bleiben können, erhalten sie den Status von Geduldeten.

„Heute werden die beiden Eltern erst mal einen langen Spaziergang an der frischen Luft machen“, sagte Ruh gestern. Hätten sie früher die Kirche verlassen, hätte die Ausländerbehörde die Abschiebung sofort vollziehen können. In das Gebäude waren die Nguyens im August geflüchtet, um in Hoya bleiben zu können.

Familienvater Min Tuong lebt seit 14 Jahren in Deutschland. Die Nguyens gelten nicht nur als besonders gut integriert, sie können auch von ihrer Arbeit leben und benötigen keine staatliche Unterstützung: Beide Eltern haben in einer Baumschule gearbeitet. Die Familie ließ sich taufen und gehört seither einer freikirchlichen Gemeinde in Hannover an. Deswegen könnte ihr bei einer Rückkehr Repressalien in Vietnam drohen. In den vergangenen Monaten versorgten Freunde die Familie mit Lebensmitteln. Der Unterstützerkreis brachte sogar die Miete für ihre Wohnung auf.

Noch im Januar hatte die Ausländerbehörde des Landkreises Nienburg es abgelehnt, der Familie eine Aufenthaltserlaubnis nach der neuen Bleiberechts-Regelung zu erteilen. Zuvor hatte die Behörde Gnade für die Nguyens stets mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass der Vater sich einst unter falschen Namen hatte registrieren lassen. Zudem soll die Familie vor sechs Jahren abgetaucht sein, um sich einer drohenden Abschiebung zu entziehen.

„In der Regel“ muss sich die Härtefallkommission wegen dieser Verstöße gegen ein Aufenthaltsrecht in Deutschland entscheiden. Dieser Passus in ihren Statuten bedeutet aber auch: Die Kommission hat die Möglichkeit, davon abzuweichen. Kai Schöneberg