„Bush war verhängnisvoll“

VON TARIK AHMIA
UND REINER METZGER

taz: Mr. Soros, Ihr Vergleich zwischen der Bush-Regierung und den Nazis hat in den USA die Gemüter erregt. Was meinten Sie damit?

George Soros: Man hat mir vorgeworfen, ich würde Bush mit Hitler vergleichen. Das ist aber falsch. Ich habe nur eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen den Propagandamethoden von Goebbels und denen der Neokonservativen festgestellt. Dazu zählt etwa die falsche Metapher des „Krieg gegen den Terror“ oder die Art, wie die schrecklichen 9/11-Anschläge von der Regierung ausgeschlachtet wurden. Anders als unter den Nazis haben wir ein unabhängiges Rechtssystem und es herrschen die Gesetze. Die USA ist eine lebendige Demokratie, die erst kürzlich Bush eine Absage erteilt hat.

Vor der letzten Präsidentschaftswahl haben Sie ein Buch gegen die Bush-Außenpolitik geschrieben und Wahlkampfaktionen gegen Bush finanziert. Haben Sie jetzt nach der Wahlniederlage der Bush-Regierung Genugtuung verspürt?

Absolut. Die Bush-Administration war verhängnisvoll für Amerika und die Welt. Durch den Kurswechsel werden nicht alle Probleme verschwinden, aber es hat schon jetzt bedeutende Veränderungen gegeben. Die wichtigste ist, dass sich Präsident Bush vom Rat seines Vizepräsidenten Dick Cheney abgewandt und den Beratern seines Vaters zugewandt hat. Damit wird die neokonservative Ideologie durch geopolitischen Realismus ersetzt. Wir müssen uns in Zukunft wieder stärker zu unserer Tradition der internationalen Zusammenarbeit bekennen.

Was waren die größten Fehler der Bush-Regierung?

Den größten Schaden haben die Neocons angerichtet, indem sie internationales Recht missachteten und die US-Außenpolitik als militärische Machtpolitik praktizierten. Damit haben wir – als die stärkste Nation der Erde – das internationale Recht, internationale Institutionen und die Weltordnung untergraben. Das muss sich ändern.

Sie kritisieren in Ihrem neuen Buch, die USA hätten sich geschadet, indem sie im „War on Terror“ selbst terroristische Methoden eingesetzt haben.

Terroristen töten unschuldige Menschen für ihre politischen Ziele. Wer Terrorismus bekämpft, sollte vermeiden, dieselben Dinge zu tun. Weil die USA vor allem im Irak Demütigung und Folter eingesetzt haben, wurden wir dort als Terroristen wahrgenommen. Das war kontraproduktiv und hat die terroristische Bedrohung erhöht und unserem Einfluss in der Welt geschadet.

Was muss passieren, um die amerikanische Außenpolitik wieder auf Kurs zu bringen?

Die jüngsten Wahlen waren sicher noch nicht genug. Damit wurde zunächst nur die Irakpolitik verurteilt. Aber den „War on Terror“ haben wir noch nicht aufgegeben. Diesen Schritt muss Amerika noch gehen.

Ihrer Ansicht nach trägt auch die US-Öffentlichkeit eine Mitschuld. Sie beschreiben sie als politisch desinteressiert, auf Bequemlichkeit und materiellen Erfolg fixiert. Wie lässt sich an dieser Haltung etwas ändern?

Das ist eine sehr schwierige Frage, auf die ich keine Antwort habe. Ich kann nur hoffen, dass es einen neuen politischen Führer gibt, der eine Veränderung bewirkt. Der Erfolg des republikanischen Senators John McCain zeigt, dass die Wähler nach jemandem suchen, der unabhängig und prinzipientreu ist und nicht dem Druck nach politischer Bequemlichkeit nachgibt. In einer offenen Gesellschaft wie den USA sollte das möglich sein. So eine Gesellschaft zeichnet sich für mich dadurch aus, dass sie zwar unvollkommen, aber immer offen für Verbesserungen ist.

Sie finanzieren seit mehr als 20 Jahren Projekte in der ganzen Welt, um die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken. Ihre Stiftung ist in 50 Ländern aktiv, auch in den USA?

Natürlich. In den USA ist meine Stiftung vor allem im Rechtssystem aktiv, die Rechtsprechung und das Gefängnissystem gehören zu den Schwerpunkten. Die USA haben weltweit die meisten Gefängnisinsassen. Die Hälfte aller Gefangenen sitzt wegen Drogenvergehen. Der Strafvollzug ist sehr rassistisch und hängt eng mit dem „Krieg gegen Drogen“ zusammen. Dieser ist genauso kontraproduktiv wie der Krieg gegen den Terror.

Ihre Vorstellung, ein Gesellschaftsmodell weltweit zu etablieren, erinnert ein wenig an den Versuch der Neocons, dem Irak Demokratie mit Waffengewalt aufzuzwingen. Wie gehen Sie mit traditionellen Gesellschaften um, die das westliche Demokratiemodell ablehnen?

Es stimmt, dass auch ich eine philosophische Basis für meine Sicht auf die Welt habe. Im Unterschied zu den Neocons erkenne ich jedoch an, dass ich mich irren kann. Es funktioniert nicht, die offene Gesellschaft jemandem aufzuzwingen. Wir fördern sie aber, indem wir Menschen unterstützen, die in ihrem eigenen Land offene Gesellschaften errichten wollen. Wenn es diese Menschen nicht gäbe, wären uns die Hände gebunden.

Was kann die Welt gegen den Hass unternehmen, der in einigen islamisch geprägten Gesellschaften gegen westliche Lebensformen und demokratische Gesellschaftsmodelle existiert?

Das wird sehr schwierig werden, denn man kann aus Terroristen keine Freunde machen. Aber man kann sie isolieren und die Öffentlichkeit für sich gewinnen, indem man Alternativen zur Gewalt aufzeigt.

Premierminister Blair hat vor kurzem erklärt, die Lösung des Nahost- Konfliktes müsse in Israel und Palästina beginnen.

Dem stimme ich vollkommen zu. Es ist nicht möglich, den Konflikt rein militärisch zu lösen. Damit verstärkt man nur die Motivation der Terroristen. Auch die zivilen Opfer und die Zerstörungen während des Libanon-Krieges haben die Muslime und die Weltöffentlichkeit gegen Israel aufgebracht. Der israelisch-palästinensische Konflikt muss so schnell wie möglich politisch gelöst werden, solange es auf beiden Seiten überhaupt noch Gesprächspartner gibt. Im Gaza-Streifen radikalisiert sich die Bevölkerung zusehends und die staatliche Autorität zerfällt.

Bedeutet das, auch mit der Hamas zu verhandeln?

Es war ein großer Fehler, die Hamas aus dem politischen Dialog zu isolieren, nachdem sie an die Regierung gewählt wurde. Das erinnerte mich an meine Erfahrungen in Polen, wo ich General Jaruzelski drängte, mit der Solidarność zu verhandeln. Doch er weigerte sich. Erst als er seine Meinung geändert hatte, kam es zum Durchbruch in Polen. Dasselbe sagte ich Rabin, als er sich mit Arafat geeinigt hatte: Ohne Beteiligung der Hamas wird es nicht funktionieren.

Ihre Erfolge als Spekulant sind legendär. Ihre Ansichten über Marktwirtschaft weichen von der herrschenden Meinung ab. Sie verneinen die verbreitete ökonomische Vorstellung, freie Märkte würden stets von selbst zu einem Gleichgewicht streben. Stattdessen seien Instabilität und Chaos unvermeidbar.

Marktfundamentalismus halte ich für total falsch, denn er ignoriert die Unsicherheit, die die Wirklichkeit prägt. Wir können nicht alle unsere Entscheidungen auf Informationen stützen. Es gibt immer Bereiche der Unsicherheit. Er nimmt auch keine Rücksicht auf kollektive Bedürfnisse wie Frieden, Ordnung und Umweltschutz. Dennoch haben die Wirtschaftswissenschaften lange versucht, so exakt wie Naturwissenschaften zu sein. Deshalb wollten sie die Unsicherheit des menschlichen Handelns nicht akzeptieren. Allmählich ändert sich das. Es gibt neue Modelle, die ökonomische Krisenszenarien sehr differenziert behandeln. Im Vergleich zur marktradikalen Lehre ändern sie das ökonomische Weltbild, so wie Galileo das astronomische Weltbild geändert hat.

Erstmals in der Geschichte herrscht Kapitalismus weltweit und konkurrenzlos. Wird er sich selbst auffressen?

Es gibt tatsächlich keine Alternative mehr zum Kapitalismus. Deshalb ist es überlebenswichtig, den Kapitalismus zu regulieren und anzupassen. Kollektive Interessen können etwa gesichert werden, indem die Politik dafür Marktanreize schafft. Beispiel Klimawandel: Wir brauchen eine globale Kohlenstoff-Steuer, die zunächst niedrig ausfällt, aber langfristig und vorhersagbar steigt. Das schadet der ökonomischen Aktivität nicht, aber beeinflusst die Investitionsentscheidungen sehr. Zweitens brauchen wir einen Fonds für technologische Innovationen, mit dem etwa CO2-freie Kohlekraftwerke erforscht werden. Drittens sollten wir neue Kohlekraftwerke nicht von zukünftigen Steuern verschonen. Viertens sollten wir einen Mindestpreis für Energie garantieren, um Investitionen in neue Energiequellen vor fallenden Ölpreisen zu schützen.

Die USA wären aber die Ersten, die so ein Szenario blockieren würden.

Es ist nötig, dass die USA hier die Führungsrolle übernehmen. Alle Länder der Welt sollten die gleiche Kohlenstoffsteuer einführen. Nationen, die das verweigern, könnten dennoch besteuert werden, indem man ihre Exporte mit einem CO2-Zoll belegt.

Mehr von George Soros ist in seinem neuen Buch nachzulesen: „Die Ära der Fehlentscheidungen. Die Energiekrise und die Konsequenzen aus dem Krieg gegen den Terror“, Finanzbuch Verlag, 278 Seiten, 29,90 €