ACHSE DES INDIEROCK – TOBIAS RAPP
:

Im Zwiespalt 1

2007 wird das Jahr der zweiten Alben all der neuen britischen Bands werden, die die vergangenen 24 Monate auf den Markt gespült haben – und wenn es auch die anderen so anstellen wie Bloc Party aus London, dann könnte es auch das Jahr der letzten Alben werden.

Schon ihr Debüt „Silent Alarm“ litt unter stilistischer Inkonsistenz, als könnte sich die Band nicht entscheiden zwischen dem tighten Postpunk-Sound ihres Gitarristen und ihres Bassisten und dem überwältigenden Jazzgetrommel ihres Schlagzeugers. Doch darüber sah man gerne hinweg. Auch, weil Bloc Party mit dieser musikalischen Ambivalenz so überaus angenehm herausstachen aus den perfekt-einheitlichen Klangentwürfen ihrer Konkurrenz. Und welche Indierock-Band hat schon einen Sänger, der schwarz und schwul ist? „A Weekend In The City“ fällt nun allerdings vollkommen auseinander. Will dies Stadionrock sein? Big Beat? Eine funky Variante von Gothic? Introspektion oder Überwältigung?

Auch hier gibt es noch den einen oder anderen Lichtblick, schlaue Texte über das Londoner Hipsterelend etwa. Es gibt den wunderbaren Song „Sunday“. Schön auch, zum zweiten Mal innerhalb weniger Monate von einer Band aus der großen anglo-amerikanischen Popwelt versichert zu bekommen, wie bemerkenswert Berlin ist – „Kreuzberg“ heißt ein Song des Albums („Prenzlauerberg“ des amerikanischen Gulag Orchestar war der andere). Das hält das Album allerdings nicht zusammen.

Bloc Party: „A Weekend In The City“ (V2)

Im Zwiespalt 2

Ganz anders als bei Bloc Party liegt der Fall bei der New Yorker Band Brazilian Girls. Sofortige Abneigung stellt sich ein, wenn man auch nur ein Interview mit der Sängerin Sabina Sciubba gelesen, schlimmer noch eines gesehen hat. Es dürfte schwer sein, einen noch prätentiöseren Haufen zusammenzukehren als bei einem Treffen der Mitglieder von Brazilian Girls, und das will etwas heißen, es sind schließlich Musiker. In einem fort wird in diesen Interviews davon erzählt, wie international sie seien, wie interessant die kulturellen Missverständnisse seien, die damit einher gehen, wie toll das aber trotzdem sei, all dies so selbstverständlich in seinen superspannenden Metropolenalltag zu integrieren. Kurz: Brazilian Girls sind eine Gruppe, der man aus vollem Herzen alles Schlechte wünscht.

Leider Gottes ist ihr Album „Talk To La Bomb“ aber ganz großartig. Mit brasilianischer Musik hat es allerdings nichts zu tun – man kann sich die Musik der Brazilian Girls eher vorstellen wie Everything But The Girl, bloß zehn Jahre später, eingespielt von einer vollständigen Band und ohne Gejammer. Das Songwriting ist prima, es gibt diese breiten bassgepolsterten Analog-Synthieflächen, wie sie der Technoproduzent Carl Craig im vergangenen Jahr auch gern einsetzte. Und eine tighte Rhythmusgruppe, die andeutet, dass sie auch Jazz spielen könnte, wenn sie nur wollte. Und es gibt dieses dann doch bezaubernde englisch-französisch-italienisch-deutsche Kauderwelsch der Sängerin.

Brazilian Girls: „Talk To La Bomb“ (Verve/Universal)

Im Zwiespalt 3

Hot Club De Paris können einem ein wenig leid tun. Im Grunde stimmt alles: Sie kommen bei Moshi Moshi heraus, jenem britischen Indielabel, das mit Hot Chip schon eine der großen Bands der letzten Jahre lanciert hat. Und mit „Drop It ’Til It Pops“ legen sie nun ein großartiges Debütalbum vor.

Das Problem: Es ist ziemlich untergegangen. Vielleicht sind Hot Club De Paris einfach spät dran, es hat schließlich eine Menge so intelligente wie gut gemachte Platten von britischen Bands in den vergangenen zwei Jahren gegeben. Vielleicht ist „Drop It ’Til It Pops“ auch eine Drehung zu intelligent und gut gemacht mit seinen 7/8-Rhythmen und seinen Songs, die Titel tragen wie „Hello, I Wrote A Song For You Called ‚Welcome To The Jungle‘ “. Welche Indierocker Mitte zwanzig kommen auf die Idee, sich nach dem Laden zu benennen, in dem der große Gitarrist Django Reinhardt vor 60 Jahren aufgetreten ist? Ist das Datenmüll, den man im Internet einfach mitnimmt, oder tatsächliches Interesse?

Wenn sich die Liebe zur musikalischen Komplexität des Progrock mit dem Hang zur Schnörkellosigkeit zusammendenken lässt, dürfte sich das so anhören wie hier. Der Bass spielt in den hohen Lagen, die Gitarre widmet sich im Wesentlichen dem Rhythmus. Und als wäre das nicht genug, handeln die Songs von ewigen Themen wie Mädchen, die wissen, wie man gut aussieht, wenn man nachts über Zaungittertüren klettert, um an den Swimmingpool der Nachbarn zu kommen. Toll.

Hot Club De Paris: „Drop It ’Til It Pops“ (Moshi Moshi)