Kein Unfug mehr

Aus Verletzungen eine Platte machen: „Rocko Schamoni & Little Machine“ zeigt den Hamburger Entertainer erstaunlich verwundbar. David-Beckham-Punks kann er trotzdem nicht leiden

VON JULIAN WEBER

Musik schmust sich an die Zeit, zählt die Sekunden im Rhythmus, versucht, sie zu überwinden und unsterblich zu sein, aber die Zeit zieht nie spurlos an Songs vorüber. Was mitunter eine zähe Auseinandersetzung ist, klingt auf dem neuen Album des Hamburger Musikers Rocko Schamoni souverän. Zuletzt war Schamonis Apriori-Humor zum Klotz an seinem Bein geworden. Seine musikalischen Ambitionen ruhten in den vergangenen Jahren. Aber zwischen der Institution Pudelclub, die am Laufen gehalten werden musss, verschiedenen Labelaktivitäten, den eigenen Büchern, die sich auch nicht von alleine schreiben, und dem Kommandoaktionismus von Studio Braun, ist offenbar doch noch Spielraum.

Auf Schamonis neuem, zusammen mit seiner Band Little Machine und dem Toningenieur Tobias Levin entstandenen Album ist nicht Schluss mit lustig, aber die Spaßfesseln sind ziemlich weit gelockert. Sonst wäre „Rocko Schamoni & Little Machine“ (Trikont/Indigo) auch nicht diese No-Nonsense-Popmusik geworden, geboren aus den Phantomschmerzen des Älterwerdens. Älterwerden mag einerseits ein schrecklicher Popgedanke sein, den Schamoni andererseits konsequent zu Ende gedacht hat. „Ich wollte nicht die großen Themen aufgreifen, ich bin nur selbst von elementaren Erlebnissen berührt worden“, erklärt er die düstere Grundatmosphäre in den zehn Songs. Privat hat er einige Rückschläge verkraften müssen, dabei war ihm, wie er sagt, seine Leichtigkeit abhanden gekommen.

„Manche können das Leben komplett raushalten aus ihrer Musik, andere, wie Herbert Grönemeyer, schlachten es hingegen komplett für die eigene Popularität aus. Ich habe nur versucht, es für mich zu verarbeiten, ohne die Einzelheiten an die große Glocke zu hängen.“ Vergänglichkeit besingt Schamoni („Leben heißt sterben lernen“), die Jugend („Jugendliche“), die Liebe („Die Infektion“) und den Tod („Der See“), und er legt dabei eine für ihn sehr ungewohnte Verwundbarkeit an den Tag. „Über die Jugend zu urteilen, ist doch immer fragwürdig. Und trotzdem bin ich jetzt älter und mich stören diese David-Beckham-Punks und ihr von der Stange gekaufter Individualismus, der an Marken aufgehängt ist. Also habe ich meine Kritik daran so rentnerhaft formuliert wie möglich. So wie mir als Punk früher ein Alter über den Gartenzaun hinterhergebrüllt hat, ‚Du Verbrecher‘!“

Zorn schärft die Sinne, hat Hermann Broch einmal geschrieben. Schamonis Albumcover ist in zornigem Schwarz gehalten, von drinnen blickt einen Schamoni skeptisch an. Einen LP-Titel gibt es ebenso wenig, wie den doppelten Boden, den Schamoni in der Vergangenheit zum Selbstschutz verlegt hat. Dass die Doppelbödigkeit fehlt, ist die eigentliche Überraschung. Diesmal segelt musikalische Genauigkeit die gefährliche Fracht der Texte sicher durch alle Untiefen.

Von der ersten Sekunde gibt Schamoni den wetterfesten Vollblutentertainer, der sich am Mikrofon nichts anmerken lässt und doch grundsätzliche Gedanken in wenigen Zeilen komprimiert. Little Machine liefern dazu die nötige Portion Glamrock-Stoizismus, beharrlich peitscht ein Discogroove nach vorne. Die Verweise aus der Geschichte sind jedoch nie maßstabsgetreu aufbereitet, sie signalisieren nur das gut Abgehangene des Gesamtsounds, den Tobias Levin kantig und rau gehalten hat. „Aus unserem Muckertum spricht zum einen die Freude, Musik machen zu können. Zum anderen liegt darin die Auswahl der Zitatmöglichkeiten begründet. Vielleicht hätte mich das exzessive Forschen und Wühlen, wie wir es für dieses Album betrieben haben, vor zehn Jahren noch gestört, jetzt ist es mir einfach egal.“

„Die Tage ziehen vorbei / Die Jahre machen frei / Menschen kommen und gehen / Es gibt kein Wiedersehn.“ Aus dem Song „Weiter“ spricht der Brinkmann’sche Trotz, ein stolzes, unkaputtbares Weitermachen auch unter den widrigsten Umständen. Schamoni ist ein leidenschaftlicher Leser, der sich durch die abstrusesten Querverweise fräst, über das kulturelle Kapital nachdenkend plötzlich bei Marie von Ebner-Eschenbach landet. „Der Lohn, den ihr kriegt hat symbolischen Wert / Auch das könnt ihr verzeihen / Weil andere dadurch in eurem Namen erstrahlen / Ihr seid zu dumm, um frei zu sein.“ Dazu habe ihn das Diktum der österreichischen Schriftstellerin angeregt, wonach „die glücklichsten Slaven die erbittertsten Feinde der Freiheit“ seien. Es wäre schade, wenn Schamoni, so wie auf seiner Homepage angedroht, die musikalische Karriere nach diesem Album nicht weiter verfolgen würde. Sonst singen bald nur noch David-Beckham-Punks.