Öfter mal was verleihen!

KLIMAWANDEL Der Erfinder des ökologischen Rucksacks, Friedrich Schmidt-Bleek, geht mit der Politik hart ins Gericht – und erwartet von ihr trotzdem die notwendige Ressourcenwende

Die Energiewende ins Zentrum der Umweltpolitik zu stellen, ist falsch, „sie trägt nicht einmal maßgeblich zur Verlangsamung des Klimawandels bei“, schreibt Friedrich Schmidt-Bleek. Hier würden nur die Symptome einer gefährlichen Entwicklung bekämpft und nicht deren Ursachen. Die liegen nach Analyse des renommierten Chemikers und Umweltforschers im wachsenden Materialverbrauch der Wirtschaft. Nicht allein der Klimawandel, sondern auch die anderen Mega-Umweltprobleme wie Artenschwund, Frischwasserknappheit, Bodenerosion und -vergiftung seien letztendlich darauf zurückzuführen.

Der frühere Vizepräsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie interessiert sich nicht für die Knappheit bestimmter Ressourcen wie seltene Erden, sondern es geht ihm um den Aufwand für ihre Gewinnung. In den 1990er Jahren hat er den ökologischen Rucksack populär gemacht, der sämtlichen Materialverbrauch für die Herstellung von Gegenständen einbezieht – also auch den Abraum, der beim Bergbau entsteht, Transporte oder die Zusatzstoffe in der Produktion. Nach dieser Berechnung ist eine Armbanduhr 12,5 Kilogramm schwer, ein Smartphone wiegt sogar 450 Kilo. Auch Photovoltaikanlagen schleppen immense unsichtbare Materiallasten mit sich. Im Vergleich zu Windkraft, aber auch Erdöl und selbst Kohle schneiden sie in der Gesamtbilanz genau wie Elektroautos extrem schlecht ab. Somit sind diese Techniken kaum als Klimaschutz zu betrachten: Die Fokussierung auf die Nutzungszeit blendet die Produktion aus, die Klima und Umwelt stark belasten.

Naive Hoffnung

Schmidt-Bleeks zentrale These ist überzeugend: Weil jeder Materialbedarf für ein Produkt eine Kaskade von Ressourcenverbräuchen nach sich zieht, würde umgekehrt jede Einsparung auch eine Kettenreaktion von Einsparungen auslösen. Allerdings lässt seine zentrale Maßeinheit Kilogramm Naturverbrauch (MIPS) jede Differenzierung vermissen: In einem empfindlichen Biotop können schon geringe Erdbewegungen enorme Schäden und Folgewirkungen verursachen, während die Natur anderswo auch bei großen Eingriffe robust bleibt. Auch ist der Verbrauch eines Kubikmeters Wassers in Deutschland etwas ganz anderes als in Marokko.

Mit Ökosteuern und veränderten Subventionen will Schmidt-Bleek die Wirtschaft in eine Richtung drängen, in der sich Langlebigkeit von Produkten auszahlt und Verleihen zum guten Geschäft wird. „Die Ressourcenwende kann wohl nur aus dem Kanzleramt gesteuert und koordiniert werden“, so Schmidt-Bleek. Es erscheint paradox, dass der Autor die Probleme ausgerechnet von denjenigen bekämpft wissen will, die er zugleich als völlig ignorant beschreibt: Im aktuellen Koalitionsvertrag steht so gut wie nichts zum Thema Umwelt, und auch mit den Grünen geht Schmidt-Bleek hart ins Gericht. Trotzdem fordert er wie der Rufer in der Wüste, die Politik müsse die Ressourcenwende „zu ihrer Leitlinie machen und […] die Unternehmen müssen ökologische Verantwortung übernehmen und ihre Produktion und ihr Geschäftsmodell überdenken.“ Das wirkt naiv.

Dass eine kraftvolle Unterstützung von außerhalb des Politikbetriebs vielleicht viel wirkungsvoller sein könnte, kommt dem Autor nicht in den Sinn. „Politische Maßnahmen müssen durch Bildungsinitiativen unterstützt werden, die dazu beitragen, Verhaltensänderungen zu bewirken.“ Das klingt nach erhobenem Zeigefinger und Verzichtsdebatte der 1980er Jahre. Ansonsten setzt Schmidt-Bleek auf die Wirksamkeit von Preissignalen und betont, dass er kein Problem mit SUVs habe, „wenn die wahren Kosten vom Fahrzeughalter getragen werden“. Auch das ist kaum dazu angetan, Menschen zu begeistern und mitzureißen.

Was das Buch leistet, ist ein wichtiger Beitrag zur Analyse der wirtschaftlich verursachten Umweltprobleme. Was es nicht leistet, ist, eine überzeugende Vision aufzuzeigen, wie wir da wieder rauskommen. ANNETTE JENSEN

■  Friedrich Schmidt-Bleek: „Grüne Lügen. Nichts für die Umwelt, alles fürs Geschäft – wie Politik und Wirtschaft die Welt zugrunde richten“. Ludwig Verlag, München 2014, 302 Seiten, 19,99 Euro