Autobahnbau im Schmiergeldsumpf

Ein kriminelles Netzwerk hat beim Bau der A 72 und vermutlich auch der A 4 in Sachsen kräftig abgezockt. Involviert sind der österreichische Strabag-Konzern und bestechliche Staatsdiener. Der Schaden wird auf rund 27 Millionen Euro geschätzt

AUS DRESDENMICHAEL BARTSCH

Die bislang größte Betrugsaffäre in Sachsen weitet sich zu einem Skandal mit internationalen Dimensionen aus. Der österreichische Baukonzern Strabag ist in Manipulationen beim Bau der Autobahn A 72 Chemnitz – Hof und vermutlich auch der A 4 verwickelt. Mit fingierten Rechnungen, einem Geflecht von Tarnfirmen, schwarzen Kassen und Schmiergeldern an staatliche Behörden soll dem Steuerzahler ein Schaden von 27 Millionen Euro entstanden sein. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz ermittelt gegen 25 Verdächtige, unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Seit Mittwoch stehen zwei von ihnen vor dem Landgericht Chemnitz.

Bereits im Jahr 2003 hatte eine Gruppe von Kriminalisten, Zoll- und Steuerfahndern die Ermittlungen aufgenommen. Auslöser war der Mord an dem aus Plauen stammenden Bauunternehmer Peter Pappe und seiner Begleiterin in der Dominikanischen Republik, nachdem sie sich mit 135.000 Euro in die Karibik absetzen wollten. Pappe gehörte offenbar zum kriminellen Umfeld der Autobahnbauer.

Auch die Chemnitzer IG Metall hatte bei der Chemnitzer Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Betrugs gestellt. Die Gewerkschaft betreute damals etwa 70 Kollegen, deren am Bau beteiligte Firmen alle drei Monaten gezielt in die Insolvenz geschickt wurden, berichtet Bezirkssekretär Hartmut Koch. Die Bauleute erhielten statt vertragsgemäßer Löhne nur Insolvenzgelder, während die Firmen unter neuem Namen wieder auftauchten.

Die Gründung von Tochterfirmen war nur eine Methode, wie die Chemnitzer Strabag-Niederlassung und beteiligte Baufirmen zu Geld kommen wollten. In dem am Mittwoch eröffneten Prozess schilderte der ehemalige Bauunternehmer Carsten P., wie Rechnungen mit Scheinleistungen aufgeblasen und so Mehreinnahmen in private Taschen spülte. Ein krasses Beispiel ist die Rechnung einer Wiesbadener Firma über 1,4 Millionen Euro für Flutlichtanlagen, die nie geliefert wurden.

Kopf des Geflechts war offenbar Günter I., ehemaliger Leiter der Chemnitzer Strabag-Niederlassung. Er sitzt bereits seit einem Jahr in Untersuchungshaft. Anfang Februar brach er sein Schweigen, nachdem ihm Gericht und Staatsanwaltschaft im Gegenzug eine Höchststrafe von drei Jahren und drei Monaten zugesichert hatten. Zuvor waren am 30. Januar in einer Großrazzia 37 Firmensitze und Privatwohnungen in Sachsen, Hessen und Berlin durchsucht worden. Beschlagnahmt wurden 3.500 Aktenordner und mehr als 200 elektronische Datenträger. Unter den 25 Verdächtigten sind sechs sächsische Beamte.

Nach unbestätigten Berichten soll auch der Präsident des Autobahnamtes Volker Strobel zeitweise inhaftiert worden sein. In dem Schmiergeldtopf haben sich in den vergangenen vier Jahren rund 3 Millionen Euro angesammelt, „um Probleme mit den Behörden zu beseitigen“, so der Leiter der Chemnitzer Staatsanwaltschaft Gerd Schmidt. Ein Ende der Ermittlungen ist noch nicht abzusehen.

Der Strabag-Mutterkonzern aus Kärnten hat die Ermittlungen unterstützt und mittlerweile die Schließung seiner Chemnitzer Niederlassung angekündigt. Die IG Metall will jedoch den Verlust der 90 Arbeitsplätze nicht hinnehmen. Die Bauleute fühlen sich unverschuldet als Korruptionsopfer.

Die Stadt Chemnitz lässt jetzt alle Bauaufträge des Tiefbauamtes der letzten zehn Jahre überprüfen. Die sächsische FDP-Landtagsfraktion forderte ein bundesweites Korruptionsregister. Der grüne Bundestagsabgeordnete und Verkehrsexperte Peter Hettlich verlangte generell schärfere Kontrollen. „Der Verkehrswegebau in Deutschland ist ein potenzieller Korruptionssumpf, denn die Baufirmen haben kaum eine Chance, auf legalem Wege zu konkurrieren.“ Der Verkehrsausschuss des Bundestages wird sich am 28. Februar mit der Problematik befassen.