Feierstimmung nach Kohle-Aus

Raus mit Applaus: Nach dem Steinkohle-Kompromiss sehen sich alle Beteiligten als Sieger. Die letzte Zeche schließt nun 2018, NRW-Ministerpräsident Rüttgers darf seine Subventionen aber schon früher einstellen. Grünes Licht für RAG-Börsengang

VON KLAUS JANSEN
UND BEATE WILLMS

Am Tag nach seiner Rückkehr aus Berlin ließ sich Jürgen Rüttgers feiern, als habe er sein Land von einer Plage befreit. Schon vor Beginn seiner Rede im Düsseldorfer Landtag begrüßten die Abgeordneten von CDU und FDP ihren Ministerpräsidenten mit lautem Beifall. Rüttgers bedankte sich mit Superlativen: Mit der in der Nacht zuvor ausgehandelten Einigung zum Ausstieg aus der subventionierten Steinkohle beginne in Nordrhein-Westfalen eine „neue Ära in der Wirtschafts- und Industriepolitik“, ja ein „neues Kapitel der Landesgeschichte“.

Nach monatelangen Verhandlungen hatte sich Rüttgers in der Nacht zum Donnerstag mit Vertretern der großen Koalition, der Bergbau-Gewerkschaft IG BCE und dem Essener Unternehmen RAG auf einen Kompromiss geeinigt, mit dem alle Seiten leben können. Bis zum Jahr 2018 wird demnach im nördlichen Ruhrgebiet noch Steinkohle gefördert, das Land NRW darf aber schon im Jahr 2014 seine Subventionszahlungen einstellen. Den rund 30.000 Bergleuten drohen keine betriebsbedingten Kündigungen. Im Jahr 2012 wird der Ausstieg auf Wunsch der SPD noch einmal überprüft. Sollte sich die Politik dann darauf verständigen, doch noch einen Sockelbergbau zu erhalten, müsste der Bund dies allein finanzieren. „Für das Land NRW ist der Ausstieg unumkehrbar“, so der FDP-Fraktionsvorsitzende Gerhard Papke.

Noch in der vergangenen Woche hatte Rüttgers die Schließung der letzten Zeche für das Jahr 2014 gefordert und damit für wütende Proteste unter den Bergleuten gefordert. Die scheinen den jetzigen Kompromiss jedoch mitzutragen: Auf einer Konferenz in Bottrop beschlossen die Betriebsräte, von weiteren Demonstrationen abzusehen. Der SPD-Bundesvorsitzende Kurt Beck verbuchte es als Erfolg seiner Partei, dass es beim Ausstiegsdatum 2018 bleibt: Rüttgers „Kahlschlagpolitik“ sei gescheitert, sagte er.

Nach Rechnung von Rüttgers hat NRW durch die Nachverhandlungen und den früheren Stopp der Subventionen 740 Millionen Euro gespart. Vor dem Landtag versprach er, dass das Geld im Zuge einer „Initiative Zukunft Ruhr“ der Kohleregion zugutekommen werde, ohne allerdings ein konkretes Kozept vorzulegen.

Als Gewinner geht auch Werner Müller aus dem Streit hervor: Der ehemalige Wirtschaftsminister und heutige RAG-Vorstandschef kann den Konzern auf die Weise zukunftsfähig machen, die er sich wünscht: „entpolitisiert“ und „wie ein normales Unternehmen“. Der Kohlekompromiss macht den Weg frei für den geplanten Börsengang. Dieser könne nun „im zweiten Halbjahr stattfinden“, sagte der nordrhein-westfälische Finanzminister Helmut Linssen (CDU) gestern.

Dabei wird Müller mächtig auf die Tube drücken. Denn die Börsenkurse sind derzeit ziemlich aufgeblasen. Experten rechnen damit, dass es im DAX, in dem Müller den Chemie-, Energie- und Immobiliensektor unter einem neuen Namen platzieren möchte, bald zu einer generellen Kurssenkung kommt. Dann würde der Börsengang womöglich nicht die erwarteten 5,5 Milliarden Euro einbringen, die für die sogenannten „Ewigkeitskosten“ zurückgelegt werden sollen.

Für diese Kosten, die – etwa für Bergschäden, angehobene Grundwasserspiegel und rissige Straßen – noch über Jahrzehnte anfallen werden, müsste dann der Staat einspringen. Zwar konnte Rüttgers Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) die Übernahme eines Drittels dieser Kosten abringen – den Großteil wird Nordrhein-Westfalen aber aus dem Landeshaushalt aufbringen müssen. Darum ist unklar, ob nach dem Ende der Kohlesubventionen tatsächlich Geld für die jetzt schon von hoher Arbeitslosigkeit gebeutelten Bergbaustädte übrig bleibt. „Es gibt noch ein dickes Ende, was die Finanzbelastungen angeht“, sagte der grüne Kohleexperte Reiner Priggen.

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