Brüssel schlägt Berlin

AUS NAIROBIMARC ENGELHARDT

Die Nachricht kam am Rande des Gipfeltreffens, zu dem sich derzeit gut 100 Umweltminister beim UN-Umweltprogramm (Unep) in Nairobi versammelt haben. Nach wochenlangem Streit mit der EU-Kommission um die Frage, wie viel CO2 Deutschlands Industrie ab kommendem Jahr in die Luft pusten darf, hat Brüssel sich durchgesetzt: 453 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. Das sind 12 Millionen Tonnen weniger, als die Bundesregierung gefordert hatte. Doch Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) kündigte nach Rücksprache mit dem Kanzleramt an, Deutschland werde nicht dagegen vor Gericht ziehen. „Deutschland hatte eine andere Berechnungsgrundlage, aber letztlich liegen wir nur 2 Prozent auseinander“, sagte Gabriel in Nairobi. „Wir werden das akzeptieren, auch um deutlich zu machen, dass wir zum europäischen Emissionshandel stehen.“

Im Streit mit der EU ging es um die Zuteilung von Verschmutzungsrechten, die im sogenannten Nationalen Allokationsplan geregelt wird. Umweltminister Gabriel hatte ursprünglich eine Obergrenze von 465 Millionen Tonnen angepeilt – obwohl die deutsche Industrie selbst erklärt hatte, sie brauche 2010 nur noch 451 Millionen Tonnen. Bundeswirtschaftminister Michael Glos (CSU) hatte sich in den Diskussionen bislang unnachgiebig gezeigt und mit einer Klage gegen die EU-Kommission gedroht. Das alles ist nun vom Tisch.

Jetzt verwies Gabriel darauf, dass man sich immerhin bei fünf von sechs strittigen Fragen gütlich geeinigt habe. Dazu zählte unter anderem mehr Transparenz beim Emissionshandel. Dadurch, so hofft der Umweltminister, könnte der Preis pro Tonne Kohlendioxid von derzeit nicht einmal acht Euro deutlich nach oben getrieben werden – was wiederum den Handel mit Emissionszertifikaten anfachen würde.

Dass Deutschland beim entscheidenden Konfliktpunkt nun das Nachsehen hat, scheint Gabriel wenig zu kratzen. Er verweist stattdessen stolz auf die enorme Einsparung, die mit der Einigung einhergeht. „Wir müssen ab kommendem Jahr mehr als 50 Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich einsparen, im Vergleich zu 2 Millionen Tonnen in der ersten Handelsperiode, die noch unter meinem Vorgänger begonnen hat – ich glaube, das ist eine gute Botschaft für den Klimaschutz.“

Mit solchen Sätzen will Gabriel die immer wieder behauptete Vorreiterrolle Deutschlands beim Klimaschutz unter Beweis stellen. Für Deutschlands Ziel, den Klimagas-Ausstoß nach dem Ende der ersten Kioto-Phase 2012 EU-weit um 30 Prozent zu senken, gab es in Nairobi allerdings auch aus Europa viel Gegenwind. In der kommenden Woche fliegt Gabriel in die Slowakei, um die dortige Regierung zu beruhigen, die wie andere osteuropäische Staaten um ihr industrielles Wachstum fürchten. Seine Werbebotschaft, dass nicht alle EU-Staaten gleich viel einsparen müssen, sondern Länder wie Deutschland oder Großbritannien über die 30 Prozent gehen würden, um das Durchschnittsziel zu erreichen, scheint noch nicht alle überzeugt zu haben.

Solche internen Streitigkeiten betrachten die Entwicklungs- und Schwellenländer mit seismographischer Genauigkeit. Dass nicht sie, sondern die Industriestaaten die ersten und größten Schritte machen müssen, ist bei dem heute endenden Verwaltungsrat des UN-Umweltprogramms immer wieder zu hören, bestätigt der Minister. „Die Europäer sind Frontrunner im Klimaschutz und versuchen andere ins Boot zu holen, aber es wird auch sehr darauf geachtet, wie stark die europäische Rolle im Klimaschutz tatsächlich durchgesetzt wird.“ Selbst der immer wahrscheinlicher werdende Klimagipfel der Staats- und Regierungschefs im Herbst könne scheitern, wenn die EU sich nicht intern auf ein gutes Angebot einigen kann.