Drogen, Bären, Taxifahrten

GEGENWARTSTHEATER In seiner elften Ausgabe ist das Schaubühnen-Festival der Internationalen Neuen Dramatik breiter angelegt. Zwei Vorstellungen mit Stücken von Paul Brodowksky und Rodrigo García überzeugten

Ein Vater sitzt im Taxi mit seinen zwei kleinen Söhnen und will in den Prado einbrechen, um ganz allein die Bilder von Goya anzustaunen. Als Special Guest ist Peter Sloterdijk mit an Bord

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Zwei Taxis fahren durch die Nacht, das eine in Neukölln, das andere in Madrid. In Berlin-Neukölln sitzt Karl-Heinz am Steuer und träumt eine Befreiung: Wie er Hanife rettet vor ihrem Zuhälter und sie dann mit ihm auf ihr Zimmer geht. Karl-Heinz ist alt, Hanife ist jung, und der Mann, dem sie Geld gibt, ist nicht ihr Zuhälter, sondern ihr einsamer, obdachloser und nicht mehr klar denkender Vater. Auch in Madrid wird im Taxi geträumt, ein Vater sitzt darin mit seinen zwei kleinen Söhnen und will in den Prado einbrechen, um eine Nacht ganz allein die Bilder von Goya anzustaunen. Als Special Guest ist Peter Sloterdijk mit an Bord.

Nein, das ist kein Episodenfilm, das sind zwei Vorstellungen neuer Dramatik, an einem Abend gespielt an der Schaubühne beim Festival Internationale Neue Dramatik (F.I.N.D.). In der 11. Ausgabe ist das Festival, dank eines Zuschusses von der Kulturstiftung des Bundes, breiter angelegt als bisher, dauert 10 Tage, noch bis 13. März, und stellt Theatermacher und Autoren aus 12 Ländern vor. Viele sind nicht zum ersten Mal an der Schaubühne, sondern wie Yael Ronen aus Israel in Produktionen des Hauses eingebunden: Zeichen der Kontinuität der Vernetzung, an der Thomas Ostermeier, Regisseur und künstlerischer Leiter Hauses, seit je gearbeitet hat.

So macht sich die Schaubühne jetzt auch einige Stücke gar nicht erst als szenische Lesung, sondern gleich als Uraufführung zu eigen. „Soll mir lieber Goya den Schlaf rauben als irgendein anderes Arschloch“, von dem argentinischen Autor und Regisseur Rodrigo García geschrieben und inszeniert, wird zur Soloshow für Schaubühnenstar Lars Eidinger, während Friederike Heller mit „Regen in Neukölln“ von dem jungen Autor Paul Brodowsky ihr drittes Stück an der Schaubühne inszeniert. Gastspiele aus Moskau, Israel oder Finnland und Präsentationen von Theaterschulen werden folgen.

Paul Brodowskys „Regen in Neukölln“ ist eine schnelle Reise durch die Nacht, auf der Suche nicht nur nach Hanife, sondern auch nach Kokain, Sex auf der Toilette und einem Fuchs. Den Fuchs spielt Niels Bormann; sehr distinguiert, sehr autonom bewegt er sich stets bestens gekleidet zwischen den Fummeln und Trainingshosen der anderen, sammelt zierlich ihre Abfälle auf seinem Teller, deckt stilsicher seinen Tisch und reagiert pikiert auf die üblen Gerüchte, die sein Jäger über ihn verbreitet.

Sein Jäger ist von Beruf Scherenschleifer und tritt im Kostüm eines Berliner Bären auf. Er faselt viel von Reinheit, beschimpft Füchse und Ausländer, tanzt allerliebst und bürstet sich das Fell. Ein Rassist, dem das stolze Kleid seiner Berliner Identität den Horizont verengt – mit Bärenmaske sieht man kaum noch was.

Es ist dieser Witz, der „Regen in Neukölln“ auszeichnet. Zudem ist die Besetzung unheimlich stark, Ernst Stötzner zeichnet seinen schwerfällig vor sich hin denkenden Karl-Heinz genauso liebevoll wie Eva Meckbach und Luise Wolfram zwei lebenshungrige Mädchen. Die Szenen sind schnell ineinandergeschnitten, die Zeit verfliegt im kleinen Studio.

Discolicht, Bärenkostüme und die Rede davon, ganz viel Spaß zu haben, und von ganz vielen Drogen spielen auch in Garcías Monolog für Lars Eidinger eine Rolle. Das Taxi, das auf einem Drehteller steht, ist wie eine Discokugel verspiegelt und wirft an die Bühnenwand vorbeiziehende Sternennebel. Der Text ist ein Monolog, in dem der Vater seinen sechs- und siebenjährigen Söhnen sehr elaborierte Antworten auf seine Wünsche in den Mund legt. Er imaginiert sie als kleine neoliberale Klugscheißer, die sich über seine Sehnsüchte nach Ergriffenheit und nach Reflexion lustig machen.

Goyas Bilder gegen Disneyland, damit labelt García in seinem Text zwei Pole von Wunscherfüllung, die der Vater mit seinen Söhnen auszuhandeln versucht. Dass sie Peter Sloterdijk mit ins Taxi zum Prado nehmen, ist eine Idee des Vaters. Es stellt sich aber heraus, dass der „angesagte Philosoph“, von dem man aus einem Rekorder einige O-Töne über Hunde- und Katzenfutter hört, eher auf die Disneyland-Seite gehört, die Seite der gut dotierten Showwerte. Garcías Inszenierung ist auch eine Rache am Versuch, Philosophie medial und populär aufzubereiten: Sloterdijks vor Eitelkeit strotzende Sätze werden vom Zappeln einer Figur in einem Sack begleitet.

Garcías Witz ist böse und poetisch. Dass sein Text so oft das Niveau der Reflexion wechselt, macht es manchmal kompliziert; andererseits flicht er Bilder von dunkler Schönheit ein, Metaphern von der Suche nach Erkenntnis und dem Schrecken darüber. „Erfahrungen sammeln schützt uns nicht“, ist so einer der verblüffenden Sätze in einem Szenario, in dem sich doch alles um die Ausdehnung des Erfahrungshorizontes zu drehen scheint. Solche Paradoxe zu erzeugen und mit Wucht auf den Zuschauer loszulassen ist Garcías spezielles Spiel. Am Ende macht auch gerade das die Ausbeute eines Festivalbesuchs befriedigend, dass dem leicht Konsumierbaren eine unabschließbare Denkbaustelle folgt.