Warten auf das Handeln

ÜBERSCHÄTZT Nach der dritten Niederlage des FC Bayern in Folge wird allseits mit der Kündigung von van Gaal gerechnet, doch die Vereinsbosse sind abgetaucht. Vermutlich suchen sie noch nach einem Nachfolger

„Da ist ein enormer Druck und viel Verunsicherung“

Philipp Lahm, Kapitän des FC Bayern

AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER

Die Säbener Straße ist eine ruhige Gegend. Einfamilienhäuser, kleine Vorgärten, Parkplatz vor der Haustür. Es gibt jedoch auch Tage, an denen sich dort regelrechte Staus bilden und es kaum ein Durchkommen gibt. Es sind dies die Tage, an denen mal wieder eine Trainerentlassung beim FC Bayern ansteht. Als die beim Auswärtskick in Hannover mit 1:3 unterlegenen Bayern-Profis ihre 18-minütige Laufeinheit im Anwesen Säbener Straße 53 absolviert hatten und Richtung Dusche entschwanden, bildet sich gegen halb eins vor der Ausfahrt der Tiefgarage eine Traube von gut 200 Menschen: Journalisten, Fans, Touristen, Familien mit Kinderwagen. Warten auf van Gaal. Ist es seine letzte Dienstfahrt als Bayern-Trainer?

Nach der dritten Niederlage innerhalb von acht Tagen und mittlerweile sieben Punkten Rückstand auf Platz zwei hat sich die Situation für Louis van Gaal zugespitzt, „wie in meiner zweiten Amtsperiode beim FC Barcelona“, hatte der Noch-Bayern-Coach nach dem 1:3 in Hannover gesagt. Der Holländer ist zu lange im Geschäft, um nicht zu wissen, was die Stunde geschlagen hat: „Ich habe immer Rückendeckung von meinem Vorstand bekommen, und sie entscheiden, ob sie diese Rückendeckung noch geben oder nicht, ich nicht.“ Doch die Herren vom Vorstand lassen sich am Tag nach dem dritten Debakel in Folge nicht sehen. Bayern-Pressechef Markus Hörwick sagt mittags um zwölf, es sei entgegen anders lautenden Berichten für Sonntag keine Pressekonferenz geplant – und verabschiedet sich in den Feierabend. Die Menge am Trainingsgelände harrt dennoch aus. Es MUSS doch noch irgendwas passieren, so die einhellige Annahme.

Wer Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge kurz nach dem Abpfiff in Hannover vernommen hatte, der konnte auch davon ausgehen, dass da nun was passiert. „Es waren katastrophale acht Tage“, sprach er in die TV-Kameras, „ich bin angeschlagen. Da mache ich gar kein Hehl draus. Was wir hier heute gespielt haben, war der absolute Tiefpunkt! Ich mache mir große Sorgen.“ Vereinspräsident Uli Hoeneß hatte mit wenigen Worten Ähnliches zum Ausdruck gebracht: „Wir müssen handeln, nicht reden.“ Das klang nicht nach einem Weiter-so für van Gaal.

Doch am Sonntagmorgen geht alles zunächst seinen gewohnten Gang. Van Gaal erscheint schon um 9.38 Uhr zum Dienst, hält später die Nachbesprechung mit der Mannschaft ab, danach lockeres Auslaufen auf dem Trainingsgelände – ohne van Gaal, was nicht ungewöhnlich ist. Als die Laufgruppe vor den Fans am Zaun vorbeijoggt, brandet Beifall auf.

Um 13.25 Uhr bahnt sich Philipp Lahm in seiner Sponsorenkarosse als Erster den Weg durch die wartende Menge vor der Tiefgarage. In Hannover hatte er in die Kameras gesprochen: „Der ganze Verein ist in einer kritischen Situation, da das Mindestziel in Gefahr ist. Da ist ein enormer Druck und viel Verunsicherung. Der FC Bayern gehört eigentlich in die Champions League.“ Was nun mit dem Trainer geschieht? „Das kann kein Spieler beantworten – das ist eine Frage für den Vorstand.“ Doch vom Vorstand fehlt am Sonntag jede Spur. Dafür haben indes auch Bastian Schweinsteiger und Jörg Butt den Weg aus der Garage gefunden.

Die versammelten Journalisten spielen derweil schon mal die möglichen Nachfolgekandidaten durch. Man ist sich einig, dass van Gaal wohl nicht mehr zu halten ist. „Es dauert halt, weil sie noch keinen anderen haben“, meint ein Mann vom Fernsehen, der schon sehr viele Bayern-Trainer interviewt hat. Wie hatte van Gaal vor dem Hannover-Spiel noch geunkt: „Und wer soll nach van Gaal kommen? Das ist auch eine schwierige Frage.“ Da hat er wohl recht. Neben den üblichen Verdächtigen (Sammer, Rangnick, Hitzfeld) werden auch interne Übergangslösungen erörtert: Andries Jonker? Hermann Gerland, womöglich mit Paul Breitner? Mehmet Scholl? Der ist sogar auf dem Trainingsgelände, allerdings nur, um seinem Sohn beim Kicken zuzuschauen.

Um halb drei: immer noch keine Spur von van Gaal. Die Menge vor der Tiefgarage dünnt sich aus. Die Säbener Straße ist wieder staufrei. Das Schicksal des Bayern-Trainers Louis van Gaal ist noch nicht besiegelt.