: Eine große Chance auf Zukunft
ZEITSCHRIFTEN Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel treten als Herausgeber der Zeitschrift „Merkur“ ab. Ihr Nachfolger wird der Kunsthistoriker Christian Demand
Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel werden Ende dieses Jahres als Herausgeber der essayistischen Monatszeitschrift Merkur aufhören. Ihr Nachfolger wird Christian Demand heißen.
Die offizielle Pressemitteilung zu diesem Wechsel soll zur Kuratoriumssitzung der Ernst H. Klett Stiftung, die den Merkur im Verlag Klett-Cotta trägt, im Mai veröffentlicht werden. Aber bereits jetzt ist alles in trockenen Tüchern, die Redaktion des Merkur hat die Personalie auf Anfrage bestätigt. Das ist eine bemerkenswerte Nachricht, nicht allein wegen der großen Bedeutung, die diese Zeitschrift in der deutschen Intellektuellenszene hat. Sondern auch weil dieser Übergang im Einvernehmen aller beteiligten Personen über die Bühne geht; das ist ja bei solchen Nachfolgeregelungen nicht immer so.
Der Merkur ist das Flaggschiff unter den verbliebenen intellektuellen Selbstverständigungsorganen Deutschlands und eine Institution, die stark von der Identifikation und dem Herzblut der Herausgeber lebt. Karl Heinz Bohrer hat diese Zeitschrift im kleinen Kreis schon mal als „heilige Sache“ bezeichnet. So etwas macht das Loslassen nicht eben leichter, auch wenn man wie Bohrer im kommenden Jahr 80 Jahre alt wird. Seit 1984 ist der Literaturwissenschaftler und ehemalige FAZ-Literaturchef Bohrer Herausgeber dieser Zeitschrift, in der viele der führenden Intellektuellen dieses Landes geschrieben haben und schreiben, von Theodor W. Adorno über Jürgen Habermas, Katharina Rutschky, Michael Rutschky bis zu Martin Seel und, ja doch, Kathrin Passig. Kurt Scheel ist seit 1980 Redakteur des Merkur und seit 1991 auch Herausgeber.
Wer einmal an den regelmäßig von ihm geleiteten sogenannten Kolloquien am ovalen Tisch in den Berlin-Charlottenburger Redaktionsräumen teilgenommen hat, weiß, mit welch hohem Ernst hier um geistige Standortbestimmungen gerungen wurde –, dass dabei aber auch Ausflüge in populärkulturelle Bereiche, von allem die des Kinos, nicht schadeten. Mit Kurt Scheel wird sich jemand aus dem Redakteursalltag verabschieden, dem viele Feuilletonisten dieses Landes entscheidende Anregungen und auch Karriereimpulse verdanken. Auf Christian Demand wurde Scheel aufgrund von dessen Schrift „Die Beschämung der Philister. Wie die Kunst sich der Kritik entledigte“ aufmerksam. Er gewann ihn als regelmäßigen Beiträger, vor allem für kunsthistorische und kunsttheoretische Themen.
Christian Demand, 1960 in München geboren und Bruder des bekannten Künstlers Thomas Demand, ist zurzeit Professor für Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. Und er hat eine souverän umwegreiche und streckenweise sogar erfrischend unakademische Laufbahn vorzuweisen. Im Internet finden sich noch eine ganze Reihe Songtexte aus seiner Feder. Neben dem Studium von Philosophie und Politikwissenschaft betrieb Demand zunächst sehr entschieden das Projekt, Popstar zu werden. Dann wandte er sich genauso entschieden wieder davon ab und sattelte auf Journalismus um.
Absolvierung der Deutschen Journalistenschule in München. Tätigkeit als Hörfunk-Journalist beim Bayerischen Rundfunk. Dann eine erneute Veränderung des Lebensschwerpunktes, der 2003 bis zur Habilitation in philosophischer Ästhetik führte. Ein Schmalspur-Intellektueller sieht anders aus. Unter anderem deshalb soll Christian Demand sowohl Kurt Scheel als auch Karl Heinz Bohrer überzeugt haben. Während etwa das Kursbuch vor einigen Jahren nach allerlei Hin und Her eingestellt wurde, erhält damit der 1948 gegründete Merkur eine große Chance auf Zukunft. Zumal man sich auch anschickt, die Möglichkeiten des Internets für sich zu entdecken. Wer ein Online-Abo der Zeitschrift abschließt, erhält zusätzlich elektronisch Zugriff auf alle im Merkur seit 1989 erschienenen Originalbeiträge – ein Archiv und eine Schatzkammer zugleich. Das Januar-Heft 2012 wird dann als erstes unter der Herausgeberschaft Christian Demands einfließen. DIRK KNIPPHALS