Ein Dorf wehrt sich gegen Nazis

Im schleswig-holsteinischen Rieseby erstarkt die rechte Szene. Schüler fotografierten sich mit zum Hitlergruß erhobener Hand, auf den Laternenmasten prangen NPD-Aufkleber. Doch die Einwohner wollen den Rechten nicht die Straße überlassen

aus RiesebyANDREAS SPEIT

Im Örtchen Rieseby, zwischen Schlei und Ostsee, bestimmen flache Einfamilienhäuser das Bild. Um so mehr fallen die Laternenmäste und Straßenschilder auf, auf denen Aufkleber der NPD oder der „Freien Nationalisten Eckerförde“ angebracht sind. „In unserer Gemeinde treten die Neonazis verstärkt auf“, sagt die stellvertretende Bürgermeisterin Dorit Indinger (SPD). Das sei in vielen kleinen Gemeinden in Schleswig-Holstein nicht anders, fügt sie hinzu.

Doch in Rieseby gibt es den Arbeitskreis „Wir gegen Rechtsradikalismus“. Auf einem Verkehrsschild vor dem Haus der stellvertretenden Bürgermeisterin klebt ebenfalls ein Aufkleber, nur das darauf steht: „Antifa ihr könnt uns mal. Freie Nationalisten Eckernförde“. Einschüchtern lässt sich die Sozialpädagogin „von denen“ nicht. „Verschweigen hilft nichts“, meint Indinger. Zu lange wären die rechten Aktivitäten höflich übersehen worden. Seit 1997 sei die Szene mal mehr, mal weniger aktiv. Meist in der Nacht würden die Aufkleber angebracht. Am Tag würden Flugblätter der NPD an der Tür verteilt. „Ich besser‘ mein Taschengeld auf“, hat ein jugendlicher Verteiler ihr auf Nachfrage geantwortet.

Einen Grund für diese „Entgrenzung nach rechts“ sieht sie darin, dass man einen Gastwirt gewähren ließ, der von sich behauptet, mit den Rechten nichts mehr zu tun zu haben. Den Ruf hat er trotzdem, und die jungen Leute, die in seiner Kneipe verkehrten, dachten vielleicht, es sei doch nicht so schlimm, rechts zu sein, vermutet Indinger.

Ein Problem seien aber auch „einige Herren“ in der Gemeinde, die aus Sorge vor einem schlechten Ruf lange nicht über das Erstarken der jungen Rechten reden wollten. Indinger weiß jedoch, dass die Szene längst Angst verbreitet. Bei einer Feier anlässlich eines 80. Geburtstages erzählten ihr die älteren Damen kürzlich, dass sie sich abends nicht mehr auf die Straße trauten. Bisher wären sie „nur bepöbelt“ worden, aber niemand wisse schließlich, „was noch so passieren“ könne.

Die Rentnerinnen wohnen in der Nachbarschaft eines Neonazis. In der Wohnung von Matthias S. kommen die Rechten gern zusammen. Hören Rechtsrock, trinken Bier. Im Bürgerpark, wo sie das Horst-Wessel-Lied sangen, und am Bahnhof treffen sie sich ebenso. „Je nach Wetterlage“, sagt Bernd Jacobsen, Leiter der Grund- und Hauptschule Rieseby.

Es war ein Vorfall an seiner Schule, wegen dem sich der Arbeitskreis „Wir gegen Rechtsradikalismus“ bildete. Gleich hinter der alten Kirche liegt die Schule, wo etwa 300 Kinder und Jugendlichen lernen. Im Herbst 2005, erzählt Jacobsen, „brachte eine Mutter mir die Festplatte ihres Sohnes, auf der sie Fotos ihres Kindes mit zum Hitler-Gruß erhobenem Arm entdeckte hatte“. Jacobs erkannte gleich weitere Schüler auf dem Bilden. Auf MP3-Playern stieß Jacobsen neben „Schni Schna Schnappi“ auch auf Rechtsrock-Songs mit Texten wie: „Siehst du einen Türken (...) / dann stehst du einfach auf und haust ihn eine rein. / Du ziehst dein Messer / und stichst 17 Mal hinein“. Durch Rechtsrock, da ist sich der Schulleiter sicher, festige sich die rechte Ideologie. So sei erst die Nazimusik aufgetaucht und dann die NPD-Flugblätter. Per Konferenzbeschluss verbot die Schulleitung Tonträger und rechte Szenebekleidung. Im Januar brachten Neonazis daraufhin Aufkleber mit rechten Parolen und Symbolen in der Nähe der Schule an. Doch Jacobsen bleibt unbeirrbar: „Wenn ich das verschweige, mache ich mich schuldig, Wenn ich dagegen angehe, merken die, hier kommen sie nicht weiter.“

An die 30 Personen soll die Szene um Rieseby umfassen. „Neu ist, das sie sich seit gut zwei Jahren organisieren“, sagt Detlef aus der regionalen Antifa-Initiative. Vor allem der Neonazikader Rikky L. bemühe sich um „Politisierung“. Von Berlin ist er ins nahe Eckernförde gezogen. „Die Gruppe ist mit Teleskopstöcken, Pfefferspray und Gaspistolen bewaffnet“, sagt Detlef. Schon öfter hätten sie autonom oder ausländisch aussehende Jugendliche angegriffen.

Am vergangenen Donnerstagabend war Innenminister Ralf Stegner (SPD) in Rieseby zu Besuch, er war vom Arbeitskreis eingeladen worden. Stegner zeigte sich erfreut über den unüblich offenen Umgang mit den Rechten. „Dass das unnormal ist“, meinte Jacobsen lächelnd, „ist eigentlich das Unnormale“.

In der schlichten Aula der Schule gab Stegner vor etwa 70 Zuhörern zu, dass „in vielen Orten Schleswig-Holsteins die Rechten frecher auftreten“. Vom Arbeitskreis bekam der Minister einen kleinen Maßnahmenkatalog „gegen rechts“ überreicht. Darin wird etwa gefordert, dass die Gemeinde einen Streetworker einstellt. Vom Innenminister erwartet sie jetzt finanzielle Unterstützung.