Normalität

– dass ich zum Beispiel als Vorstand der Bayerischen Börse, also im Zentrum der Finanzbranche, nicht mehr danach gefragt werde, wie ich mich in dieser Männerdomäne behaupte. Im Gegenteil, in Zukunft soll ich auch mal Auskunft geben, ob es sinnvoll wäre, eine Quote für Männer einzuführen, damit endlich mehr qualifizierte, motivierte und engagierte Männer in Führungspositionen aufsteigen können. Und dass auch einmal der Vorstand eines Automobilunternehmens gefragt wird, ob er sich als Quotenmann fühle, weil längst Ingenieurinnen Planung, Steuerung und Konstruktion von Neuwagen übernommen haben. Ich wünsche mir, dass der männliche Vorstandsvorsitzende einer großen Bank erklären soll, wie er Familie und Beruf unter einen Hut bekommt. Ich wünsche mir, dass im Kindergarten Kindergärtner und in der Grundschule Grundschullehrer arbeiten und im Seniorenwohnheim mehr Pfleger als Pflegerinnen aktiv sind. Eine Diskussion über schlechte Bezahlung in typischen Frauenberufen gäbe es dann nicht mehr, weil es keine typischen Frauenberufe mehr gibt. Und dann lese ich abends im Bett das Buch eines bekannten männlichen Feuilletonisten. Titel: „Die Feigheit der Männer“. Eine Utopie?

CHRISTINE BORTENLÄNGER, 54, VORSTAND DER BAYERISCHEN BÖRSE UND GESCHÄFTSFÜHRERIN DER BÖRSE MÜNCHEN