Maschinen aus Metall

Als „Metal Machine Music“ von Lou Reed 1975 erschien, stieß die Platte noch weitgehend auf Unverständnis. Der Rolling Stone etwa meinte, dem „Geächze eines galaktischen Kühlschranks“ zu lauschen. Inzwischen wird die aus einander überlagernden Rückkopplungen geschichtete Musik als Pionierarbeit und wegweisend für Noise und Industrial gewürdigt. Auch die „ernste“ Musik hat sich des Werks angenommen. Im Jahr 2002 präsentierte das Berliner Ensemble Zeitkratzer eine für seine Besetzung arrangierte Fassung, die selbst von Lou Reed wohlwollend aufgenommen wurde. Er beteiligte sich sogar als Musiker an einem Berliner Konzert, das dann umgehend als Platte veröffentlicht wurde.

Die Version von Zeitkratzer und Lou Reed hatte allerdings einen Schönheitsfehler, wenn man so möchte: Sie war unvollständig. Lediglich drei von insgesamt vier Teilen waren auf der Aufnahme zu hören. Die dauerten zusammen immerhin 50 Minuten, aber Finale ist Finale. Und welcher Klassikhörer würde sich eine Beethoven-, Mahler- oder Schostakowitsch-Symphonie vorsetzen lassen, bei der am Ende der Schlusssatz fehlt?

Um diesen Makel zu beheben, gibt es jetzt eine vollständige Fassung von Zeitkratzer als Neueinspielung, ebenfalls ein Livemitschnitt, diesmal aus dem Jahr 2012. Nun könnte man selbstverständlich einwenden, dass bei den oben genannten Komponisten wenigstens Sinn und Verstand hinter der ganzen Sache stecke, während Reed einfach nur eine Krachorgie an die nächste gereiht habe, bei der es im Grunde egal sei, wie viele man davon kammermusikalisch wiedergibt. Das wäre jedoch eine eher verkürzte Sicht, die der Musik nicht so ganz gerecht wird. Vielmehr verdeutlicht die aktuelle „Unplugged“-Version von Reeds „MMM“, so die handelsübliche Abkürzung des Titels, wie nuanciert die Lärmschleifen waren, die Reed einst in seinem Heimstudio erzeugte. Die Instrumente – Bläser, Streicher und Klavier, ergänzt um ein bisschen Schlagzeug – umkreisen immer wieder dieselben Töne, bringen sie leicht zum Anschwellen, klingen ab, gruppieren sich neu, noch feiner und zugleich selbstbewusster als bei ihrer ersten Annäherung von 2002.

Wer übersichtliche Formen bevorzugt, wird sich vermutlich nicht überzeugen lassen. Als Modellierung von Klang ergeben die Bemühungen des Ensembles um den Pianisten und Komponisten Reinhold Friedl aber allemal Sinn.

TIM CASPAR BOEHME

■  Lou Reed: „Metal Machine Music, first full instrumental version performed live by zeitkratzer“ (Zeitkratzer Records)