Plötzliches Ende des Randballs

Der WM-Erfolg der Handball-Männer führt zu einer Eintrittswelle bei Vereinen in NRW. Selbst beim Fußballtraditionsclub 1. FC Köln wollen Kinder und Jugendliche jetzt den Hallensport betreiben

„In jeder Altersklasse sind zwei bis sechs Kinder neu hinzugekommen“

AUS GUMMERSBACHERIK EGGERS

Nachhaltige Effekte wünschte sich Heiner Brand für seine Sportart, als der sensationelle Triumph bei der Handball-Weltmeisterschaft besiegelt war, und nur eine Woche später scheint dieser Wunsch tatsächlich in Erfüllung zu gehen. Tage nach dem Triumph von Köln vermelden Zeitungen wie der Kölner Express einen „neuen deutschen Handball-Boom“.

Gar wundersame Dinge tun sich etwa beim 1. FC Köln, ein Klub, den man bisher nur als Fußballhochburg kannte. Dort ist Wilfried Schmitz, Jugendwart der Handball-Abteilung, in der letzten Woche kaum mehr zur Ruhe gekommen. „Es ist unglaublich, mein Telefon steht überhaupt nicht mehr still“, erzählt Schmitz. „Ich bekomme seit Tagen Dutzende E-Mails und Anrufe von Eltern und Kindern, die Handball spielen wollen.“ Nicht nur am Finalort Köln werden die Klubs bestürmt von den Jugendlichen und Kindern. „In jeder Altersklasse sind zwei bis sechs Kinder neu hinzugekommen“, berichtet Hans-Peter Boecken, Vorsitzender des Jugendausschusses des Westdeutschen Handball-Verbandes. Eine Entwicklung, die Brand in seiner oberbergischen Heimat ebenfalls vernommen hat. „Auch in Gummersbach haben sich in der letzten Woche viele Kinder angemeldet, um Handball zu spielen“, freut sich der 54-jährige Bundestrainer über den gewaltigen Zulauf. Sogar in der Schule, auf dem Pausenhof, übten die Kinder jetzt Sprungwürfe und Torwartparaden, habe seine Frau Christel, die als Lehrerin arbeitet, staunend berichtet. „Jetzt müssen wir schleunigst zusehen, dass wir weitere Trainer ausbilden, um den Boom gemeinsam zu nutzen“, fordert Brand.

Am ersten Wochenende nach der WM wurden die Weltmeister gefeiert in den Handballhallen dieser Republik. Auch der deutsche Rekordmeister VfL Gummersbach profitiert von der Begeisterung, die das Team vor einer Woche mit dem 29:24-Endspielsieg gegen Polen vor 19.000 fanatischen Zuschauer entfacht hatte. Bejubelt wurde der WM-Sieg der Gummersbacher Legende Brand, bevor der VfL am Freitagabend mit dem 39:26-Sieg gegen Wilhelmshaven seine Titelambitionen untermauerte. Nicht auf den Bundestrainer brandete der Beifall der gut 2.000 Zuschauer freilich herab; Brand war unterwegs zu einem Fernsehauftritt in Leipzig. Ein gewisser Gerhard Wirths nahm die Ovationen des Publikums entgegen. Wirths hatte den Bus der deutschen Nationalmannschaft gefahren. Autogrammkarten verteilte der gemütliche Mittfünfziger auch schon. Viele Zuschauer waren, wie sich herausstellte, das erste Mal in die alte Eugen-Haas-Halle gekommen, um sich ein Handballspiel live anzuschauen.

Auch die Lipperlandhalle war beim Spiel des TBV Lemgo gegen die HSG Düsseldorf mit knapp 5.000 Zuschauern ausverkauft. Die fachkundigen Fans aus der Herzkammer des deutschen Handballs feierten, ebenfalls mit geschwenkten Deutschland-Fahnen, die fünf Lemgoer Weltmeister Christian Schwarzer, Markus Baur, Carsten Lichtlein, Florian Kehrmann und Sebastian Preiß, allen voran Kreisläufer Schwarzer und Kapitän Baur.

Und außerhalb von NRW? Überall glichen sich die Bilder: In der ebenfalls ausverkauften Göppinger Hohenstaufenhalle bejubelten knapp 4.000 Zuschauer beim 30:25-Sieg gegen Minden Shootingstar Michael Kraus. Und selbst in Berlin kamen 3.000 Besucher zum Zweitliga-Spiel des Spitzenreiters Füchse Berlin gegen Magdeburg II. Diesen Zuspruch registriert Brand, der Vater des WM-Titels, mit Wohlwollen. Hat der Bundestrainer doch schon mehrmals den Gedanken geäußert, die bislang handballfreie Hauptstadt, die mit dem stimmungsvollen Eröffnungsspiel gegen Brasilien die Party eingeleitet hatte, zu einer Blüte zu verhelfen.