LESERINNENBRIEFE
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Erziehung zur Demokratie

■ betr.: „Der Briefwechsel“, taz vom 30. 7. 14

Die Schülerin Jolinde Hüchtker schreibt: „Die Schule dient im Endeffekt dazu, uns auf das Berufsleben vorzubereiten“. Der Lehrer Arne Ulbricht widerspricht dem nicht.

Selbstverständlich ist die Vorbereitung auf das Berufsleben eine wichtige Aufgabe der Schule. Nach meinem Verständnis von Pädagogik wäre es jedoch eine unzulässige Verengung, den Auftrag der Schule darauf zu reduzieren. Schule muss allen Aspekten des Lebens dienen und dazu beitragen, dass junge Menschen selbstbewusste und kritische Menschen werden, die sich nicht unreflektiert an vermeintliche Erfordernisse von Wirtschaft und Gesellschaft anpassen. Schule muss vor allem auch Erziehung zu Demokratie bedeuten. HEINZ PETER LEMM, Hamburg

Eine Art private Paralleljustiz

■ betr.: „Niederlage für Putin“, taz vom 29. 7. 14

Klaus-Helge Donath suggeriert, dass im Fall Yukos nun legitimes internationales Recht gesprochen worden sei. Dabei handelt es sich um ein Investor-Staat-Schiedsverfahren, welches bei den TTIP-Verhandlungen zu Recht heftig umstritten ist. Zuletzt sah sich die EU-Kommission mit fast 150.000 Eingaben konfrontiert, von denen eine überwältigende Mehrheit diese Schiedsverfahren aus demokratischen Erwägungen grundsätzlich ablehnt.

Die Grundlage für den Yukos-Fall ist übrigens der Energie-Charta-Vertrag, auf dem auch die Vattenfall-Klage gegen die Bundesrepublik wegen des demokratisch beschlossenen Atomausstiegs basiert. Pikant ist, dass die Energie-Charta nie vom russischen Parlament ratifiziert wurde, sondern lediglich von der russischen Regierung provisorisch in Kraft gesetzt wurde. Diese provisorische Inkraftsetzung wurde überdies 2009 aufgekündigt. Trotzdem wurde verfügt, das Schiedsverfahren weiterzuführen. Dazu wurde die sogenannte Zombie-Klausel ins Feld geführt, die besagt, dass trotz Aufkündigung eines Vertrags mit Investor-Staat-Verfahren die entsprechenden Regelungen noch 20 Jahre in Kraft bleiben.

Das Investor-Staat-Schiedsverfahren ist eine Form privater Paralleljustiz zugunsten transnationaler Konzerne und bricht mit fundamentalen Regeln der Rechtsstaatlichkeit. Eine Unabhängigkeit der Schiedsrichter ist nicht gegeben. Alle drei Schiedsrichter eines Verfahrens sind Rechtsanwälte privater internationaler Anwaltskanzleien und haben aufgrund der Entlohnung pro Verfahren ein inhärentes Interesse, dass die klagenden Konzerne möglichst oft gewinnen, um den Schiedsverfahrensmarkt möglichst attraktiv zu machen.

Jenseits der Bewertungen des Yukos-Falls im Allgemeinen gibt es keinen Grund, bei diesem Schiedsspruch mit der Fahne des legitimen Völkerrechts zu wedeln. Stattdessen gibt es gute Argumente das Investor-Staat-Schiedsverfahren in diesem Fall, generell in der Energie-Charta, in TTIP und allen anderen Investitionsverträgen aus demokratischer Perspektive als illegitim und anti-rechtsstaatlich abzulehnen. ALEXIS J. PASSADAKIS, Mitglied im Rat von Attac, Köln

Verbot aus gutem Grund

■ betr.: „Chlorbleiche floriert weiter“, taz vom 28. 7. 14

Es grenzt schon an einen handfesten Skandal, dass ein sogenannter Wunderheiler auf einer obskuren Esoterikmesse in Hannover (Spirit of Health) ein stark gesundheitsgefährdendes Mittel anpreisen kann, ohne dass dem irgendeine deutsche Behörde Einhalt gebieten könnte. Da es sich ja nicht um ein „Medikament“ handelt, fühlt sich niemand zuständig.

Dabei ist „Miracle Mineral Supplements“ (MMS) durchaus in mehreren Ländern Europas verboten. Und das aus gutem Grund. Die Empfehlung zum Beispiel, autistischen Kindern mit diesem stark ätzenden Mittel einen Einlauf zu verpassen, ist schließlich Körperverletzung. Lediglich auf bessere „Aufklärung“ (in welcher Art?) zu setzen, reicht da sicherlich nicht aus, wie ja auch Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, zugibt; denn viele MMS-Fans glauben ja tatsächlich, mit diesem Mittel geheilt worden zu sein. HELGA SCHNEIDER-LUDORFF

Helm ab zum Denken

■ betr.: „Eine Bankrotterklärung des Westens“, taz vom 21. 7. 14, Leserbrief: „Demütigendes Zurückweichen“, taz vom 28. 7. 14

Ich bin Nachkriegsgeneration und kann mich noch gut an die Ergebnisse diverser Polizeiaktionen und Bündnisfälle im Osten erinnern, diese Menschen lebten unter uns. Im Sinne einer pazifistischen Kultur würde Mäßigung und Außenpolitik gut zu Gesicht stehen. Denke ich nun in Kriterien des Schreibers, steht die Frage im Raum: Wo liegt der Unterschied zwischen militärischen Aufgaben (Nato-Bündnisfall) und polizeilicher Aktion (Ostukraine) und welche außenpolitischen Auswirkungen sind angedacht? Kriege beginnen propagandistisch und enden in Höhlen. Wir tun gut daran, diese Unterscheidung zu begreifen und im Fall der Ukraine das wenige Kapital, das der Westen noch hat, nicht auch noch zu verspielen. Im Fall der abgeschossenen Maschine sollte zwischen Verbrechen und Kriegshandlung unterschieden werden, ob es uns nun passt oder nicht, der Westen hat keinen Grund, sich als Obergendarm aufzuspielen, es hat solche Fälle auch hier gegeben. Die Nato ins Spiel zu bringen, widerspricht den Garantien, die 1990 gegenüber der ehemaligen Sowjetunion gemacht wurden (also keine Erweiterung der Nato an die Grenzen Russlands). Schon vergessen, abgesehen von den nichtkalkulierten Risiken eines Waffengangs? Appell: Die Waffen nieder, Helm ab zum Denken, bevor es zu spät ist! SIEGFRIED MÄNNER, Berlin