Katerstimmung in Kiel

Wenig nur von der WM-Euphorie hat sich in die Handball-Bundesliga retten lassen: Nach einem angemessenen Unentschieden gegen den HSV muss der THW Kiel die Tabellenspitze erst mal räumen

von CHRISTIAN GÖRTZEN

Ein Banner über dem Spielereingang zur Kieler Ostseehalle entpuppte sich im Nachhinein als Abschiedsgruß an die WM-Euphorie. „Die Fans des THW Kiel“, stand auf dem Spruchband geschrieben, „heißen ihre Weltmeister herzlich willkommen.“ Drinnen warteten derweil schon 10.250 Zuschauer darauf, dass alles in etwa so wunderbar werden würde wie in den vergangenen Wochen, als das deutsche Nationalteam mit seinen Erfolgen und dem WM-Gewinn das Land in einen Feierzustand versetzte. Einiges wurde versucht, um die Festtagsstimmung für den Alltag – die Spiele in der Handball-Bundesliga – zu konservieren. Doch es misslang.

Vor dem Anpfiff des Spitzenspiels zwischen dem Meister THW Kiel und dem HSV Hamburg, das mit einem leistungsgerechten 33:33 (16:14) endete, wurden die deutschen Weltmeister auf beiden Seiten geehrt. Die HSV-Spieler Pascal Hens, Torsten Jansen und Stefan Schröder nahmen genauso wie ihre Kieler Kollegen Henning Fritz, Dominik Klein und Christian Zeitz jeder eine Marzipantorte vom gastgebenden Verein und stehende Ovationen von den Rängen in Empfang. Danach schwenkten die Zuschauer noch kurz ihre schwarz-rot-goldenen Fähnchen, die ein Sponsor bezahlt hatte, und das war es dann auch schon mit der Euphorie.

Von jener fantastischen Stimmung, die noch beim WM-Vorrundenspiel zwischen Dänemark und Norwegen in der Ostseehalle geherrscht hatte, war bei der Topbegegnung des 19. Bundesligaspieltages wenig bis gar nichts übrig geblieben. Die Ostseehalle und der THW Kiel haben ihr „Theaterpublikum“ zurück, wie es auf Grund seiner geringen Begeisterungsfähigkeit spöttisch bezeichnet wird. „Vielleicht war das Publikum müde von der WM“, mutmaßte THW-Manager Uwe Schwenker. „Ich hätte mir auf jeden Fall mehr Unterstützung gewünscht.“

Allerdings tat die Mannschaft auch zu wenig, um unter den eigenen Fans Begeisterung zu entfachen: Kiels „Zebras“ blieben gegen den Verfolger aus Hamburg vieles schuldig. Es reichte nur zu einem Remis, und das am Ende auch noch glücklich: Neun Sekunden vor Schluss kamen die Gäste noch einmal in Ballbesitz.

„Wir sind nicht zu unserem Spiel gekommen“, sagte THW-Coach Zvonimir Serdarusic. „Meine Spieler haben immerhin gezeigt, dass sie immer noch Kraft haben, um gleich in der Bundesliga weiterzuspielen – einige mehr, einige weniger. Es war heute nicht unser gewohntes Spiel.“

Für den THW hatte die Punkteteilung Folgen. Da die SG Flensburg-Handewitt wenig später mit 27:23 in Melsungen siegte, fielen die Kieler (32:6 Punkte) in der Tabelle hinter dem Nordrivalen Flensburg (33:5) vom ersten auf den zweiten Platz zurück. Der Tabellenvierte Hamburg (30:8) zählt nun endgültig zu den Titelanwärtern. Und die Voraussetzungen dafür, erstmals die deutsche Meisterschaft zu gewinnen, sind gut: Alle Topteams müssen in der Rückrunde noch in Hamburg antreten.

HSV-Trainer Martin Schwalb mochte trotzdem nicht vom Titel sprechen. „Man hat aber gesehen, dass meine Jungs trotz der WM-Belastung noch genügend Patronen im Gürtel haben, um ein gutes Spiel zu bieten“, sagte Schwalb, der nach der Schlusssirene die Faust zum Zeichen des Triumphes ballte. Sonderbar still war es um ihn herum in der Ostseehalle geworden. In Kiel kam der Kater nach dem WM-Rausch schnell und unerbittlich.