Neben- oder hintereinander?

Beim „Forum Expanded“ werden Grenzen getestet: zwischen Kunst- und Filmfilm, zwischen Gerücht und Diskurs, zwischen Ausstellung und Filmfest

Spätestens bei Tim Blues „Ghostyard Supernova“ (2006) hört man sich insgeheim murmeln: „Ich liebe diesen Quatsch. Hinreißend.“ Genau in diesem Moment giggeln auch die Leute hinter einem. Das ganze Kino amüsiert über ein paar runde Kreise, die im oder auch mal gegen den Rhythmus der Musik pulsieren, verschwinden, wieder auftauchen und sich als Blubberblasen oder rasiermesserscharfe Geometrien gegeneinander zu formieren scheinen – also einen Kriegsfilm?

Um den „Normalfall des Kinos“ handelt es sich bei diesem Acht-Minuten-Film des kalifornischen Musikers und Videokünstlers jedenfalls nicht. Daher läuft er im Kurzfilmprogramm des „Forum Expanded“, dem Programmteil des Forums, der Arbeiten vorstellt, die über den Rahmen des gewohnten Kinos hinausgehen, früher „Expanded Cinema“ genannt. Dafür hat die Performance-Gruppe „Cheap with Vaginal Davis“ im Keller des Filmhauses ein schickes „Gossip Studio“ eingerichtet: Barbetrieb mit Film und b_books-Bibliothek. In der kanadischen Botschaft nebenan eröffnete passenderweise der „Marshall McLuhan Salon“, weitere Außenstellen: der Hamburger Bahnhof und Büro Friedrich.

Alexander Horwath, Direktor des Österreichischen Filmmuseums und verantwortlich für das Filmprogramm der Documenta 12, brachte den Begriff „Normalfilm“ in die Diskussion ein, auf der am Samstag im Hamburger Bahnhof das „Forum Expanded“ zum Panel über „Expanding Filmfestivals“ expandierte. Neben den Initiatoren Stefanie Schulte Strathaus und Ex-Kunst-Werke-Kurator Anselm Franke (nun Extra City, Antwerpen) saßen die einschlägigen Programmverantwortlichen aus London, Oberhausen, Toronto und Rotterdam auf dem Podium, Rike Frank aus Kassel vertrat den erkrankten Documenta-Direktor Roger M. Buergel.

Kunstmarkt versus Filmindustrie, Kurator versus Programmgestalter, Ausstellung versus Aufführung: In diesen Oppositionen klärten sich Stellenwert und Behandlung des (Künstler-)Films im Rahmen des Kunst- bzw. Festivalbetriebs ein wenig. Die substanziellstenVorschläge machte Horwath, weil ihm, anders als den anderen, die zeitliche Dimension von Film bewusst war. Das hieß für ihn: Man vergleicht Filme im Nacheinander, nicht im Nebeneinander. Das sorgte für Ärger. Der Galerist Ian White von White Chapel aus London etwa machte die Filmindustrie dafür verantwortlich, dass wir Filme vom Anfang bis zum Ende anschauen. Nur deshalb gelte es fälschlicherweise als eine Erfindung von Künstlern, dass man in permanent laufende Filme reinschnuppere, wie es einem gerade passe. Nun ja. Und auch Frankes Einwand, dass die Edition als künstlich verknapptes Gut nicht nur Kunstmarktaspekte, sondern auch Inhalt, also Sinn und Sinnlichkeit, ins Museum bringe, trug nicht weit. Letzterem stünde ein Filmverleih keineswegs entgegen.

Horwath jedenfalls will die Leute auf der diesjährigen Documenta mit Filmfilmen bekannt machen, die für eine seriöse Wertschätzung von Kunstfilmen unabdingbar sind. Eine gute Idee. Als Film- und nicht nur Kunstfreund beobachtet man schließlich beim Künstlervideo oft ein Herangehen, das ob seiner Harmlosigkeit und Naivität in anderen Genres bildender Kunst definitiv keine Chance mehr auf Beachtung hätte.

BRIGITTE WERNEBURG

„Gossip Studio“, täglich im Filmhaus-Atrium; Kurzfilmprogramme bis Donnerstag täglich im Arsenal; weitere Infos: www.fdk-berlin.de