„Das Töten kann man nicht lernen“

Immer mehr Bundeswehrsoldaten kehren mit schweren Traumata von Auslandseinsätzen wie in Afghanistan zurück. Erst vor Ort zeigt sich, wie sie auf Ängste, Stress und Tod reagieren, sagt der Bundeswehrpsychiater Karl-Heinz Biesold

taz: Herr Biesold, mehr deutsche Truppen stehen im Ausland als je zuvor. Wirkt sich das auf die Zahl Ihrer Patienten aus?

Karl-Heinz Biesold: Nicht unmittelbar, da die Soldaten oft mit einer Latenz von Monaten oder Jahren zur Behandlung kommen. Nach dem Kosovo-Einsatz 1999 haben wir stark gemerkt, dass die Soldaten dicht am Kriegsgeschehen waren. Ähnlich ist es mit dem Afghanistan-Einsatz.

Warum kommen die Soldaten erst lange nach den traumatischen Erlebnissen?

Sie versuchen zunächst, selbst wieder Fuß zu fassen. Sie halten ihre psychischen Beschwerden für Anfangsschwierigkeiten nach der Rückkehr.

Welches sind die am stärksten belastenden Momente bei Auslandseinsätzen?

Die eigene Lebensgefahr, der Tod von Kameraden, Gewalt Kindern gegenüber. Und alles, was mit besonders heftigen Sinneseindrücken verbunden ist: grausige Bilder, schreckliche Geräusche. Schwierig ist auch das Gefühl, dass alles Erlebte sinnlos war. Vietnamveteranen sind dafür ein typisches Beispiel. Die haben sich hinterher verraten und verkauft gefühlt. Ich fürchte, dass es mit dem Irak jetzt ähnlich passiert.

Was sind typische Traumasymptome?

Vor allem immer wiederkehrende Bilder. Die Erinnerungen an die Erlebnisse, die mit heftigen Emotionen und starken vegetativen Reaktionen wie Angstgefühlen verbunden sind. Das ist für die Betroffenen, als wären sie immer noch in der Gefahrensituation. Sie haben eine ständige hohe innere Anspannung, Aufgeregtheit, häufig Schlafstörungen. Oft ändert sich dann ihr Verhalten, sie sind gereizt.

Wie gehen sie damit um?

Zumeist wird alles vermieden, was an die Erlebnisse erinnert. Manche ziehen sich vollkommen zurück. Die werden gefühlskalt, emotionslos, und fangen häufig Selbstbehandlungsversuche mit Alkohol oder Drogen an. Es gibt auch das Phänomen, dass man das Unangenehme gerade in besonderem Ausmaß macht: Kriegsfilme gucken, Ballerspiele. Für manche Soldaten ist es eine Form der Bewältigung, sich immer wieder die Bilder anzugucken. Sie hoffen, sie irgendwann ohne diese heftigen Gefühle aushalten zu können.

Kann das funktionieren?

Es ist ein Weg in der Behandlung, durch ein Trauma noch einmal durchzugehen. Aber natürlich unter bestimmten therapeutischen Kriterien. Das allein zu wiederholen, bringt nichts. Die Patienten pushen sich selbst immer wieder hoch.

Kommen die Patienten aus eigenem Antrieb zu Ihnen?

Manche merken selbst, dass sie nicht klarkommen. Aber eine beträchtliche Zahl wird von Kameraden, Vorgesetzten und Familienangehörigen geschickt.

Die Krankheitseinsicht ist also eher gering?

Menschen, die seelisch traumatisiert sind, betrachten das nicht wie jemand, der körperlich verletzt worden ist. Bei einer seelischen Traumatisierung ist oft das Gefühl da: Ich bin der Einzige, der das nicht packt, es hat mit Schwäche zu tun. Die Soldaten glauben, sie seien nicht fit genug für ihre Aufgabe gewesen. Die Traumatisierung macht einsam.

Wie werden Soldaten auf die Konfrontation mit dem Tod vorbereitet?

Man trainiert das natürlich, aber man tötet nicht in der Übung. Erst in der Realität zeigt sich, wie man auf ein Tötungsereignis reagiert. Vorher wird auch viel verdrängt.

Der andere Punkt ist, dass Soldat natürlich ein sehr männlicher Beruf ist, ein Risikoberuf. Soldaten erwarten von sich selbst, dass sie mehr aushalten können. Wenn es dann doch Belastungsgrenzen gibt, ist die Erfahrung umso bitterer und beschämender.

Was lernen Soldaten zum Umgang mit ihrer Angst?

Das Erste ist, die Angst oder Stressreaktion überhaupt zu erkennen. Viele bekommen gar nicht mit, wie es ihnen geht. Und sie bekommen Atem- und Entspannungstechniken beigebracht, wie sie sich etwas runterkühlen können. Wenn man aber erst einmal hochgefahren ist, wird es schwierig.

Ist es unter Soldaten verpönt, sich Ängste einzugestehen?

Für Männer ist das ohnehin schwierig. Das ist nicht nur bei Soldaten so. Man kann seine Ängste auch nicht ständig zulassen. Ich bin zum Beispiel 2003 am Tag eines schweren Attentats nach Afghanistan gekommen. In den folgenden Tagen wurden wir vor Selbstmordattentätern in Fahrzeugen gewarnt. Und trotzdem musste ich raus. Entweder macht man sich da völlig irre oder sagt sich: Da muss ich jetzt einfach durch. Und natürlich sind sich Soldaten darüber klar, dass ihr Beruf mit einem Risiko verbunden ist.

Reizt das viele nicht gerade an diesem Beruf?

Ich denke schon. Es hat Untersuchungen darüber gegeben. Viele der Soldaten sagen, sie gehen in die Auslandseinsätze, um zu helfen. Der Anteil derer, die sich selbst als Abenteurer bezeichnen, ist nicht besonders hoch. Manchen wird erst vor Ort klar, was das bedeutet.

Gibt es bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr psychologische Betreuung?

Ja, es sind Psychologen und Militärseelsorger dabei. In Afghanistan und dem Kosovo sind auch Psychiater in der Truppe.

Fällt es vor Ort leichter, den Psychologen aufzusuchen?

Solange man da nicht hinmuss, geht man da nicht hin. Die meisten Gespräche kommen nicht im Sprechzimmer zustande, sondern beim Essen oder bei anderen Gelegenheiten. Und die eigentliche Verantwortung für das Wohl der Leute haben die Vorgesetzten. Unser Konzept der inneren Führung baut darauf auf, dass der Vorgesetzte eine Verantwortung für das körperliche und seelische Wohl der Soldaten hat. In einer Truppe ist es sehr intim. Der Vorgesetzte weiß viel über seine Leute und kümmert sich um sie.

Ist es nicht besonders schwer, sich mit Ängsten einem Vorgesetzten anzuvertrauen? Das könnte sich auf die berufliche Laufbahn auswirken!

Das ist der Haken dabei. Es bedarf eines großen Vertrauens zum Vorgesetzten.

Kürzlich wurden Bundeswehrsoldaten vom Dienst suspendiert, die in Afghanistan mit Totenschädeln spielten. Wie kommt es zu solch einem makabren Verhalten?

Ich halte das für eine Form von Zynismus. Dadurch wird die eigene Angst bei der Konfrontation mit Tod und Verwundung abgewehrt. Dass man makabre Scherze macht, wenn Situationen sehr brenzlig werden, ist eine nicht seltene Reaktion.

Das Verhalten war eine Art Stressventil?

Das ist ein Weg, den das Ganze nehmen kann, aber natürlich nicht darf. Es gibt Tabugrenzen. Aber ich bin davon überzeugt, dass es keine bewusste Totenschändung war.

Müsste die Vorbereitung der Soldaten auf Auslandseinsätze nun verbessert werden?

Es ist ein ständiger Erziehungsprozess in der Truppe, auch über Ängste und Stress zu sprechen. Wir müssen das Thema aus der Tabuzone rausholen. Natürlich werden Sie solche Vorfälle in einer riesigen Institution wie der Bundeswehr nie zu hundert Prozent verhindern können. Aber Aufklärung ist wichtig.

Wie könnten die aussehen?

Wir entwickeln gerade ein Beratungssystem im Internet. Es könnte die Stigmatisierung vermeiden, wenn Soldaten sich per Computer an Fachleute wenden.

INTERVIEW: ELKE SPANNER