Möglichst viel Nichtwissenswertes

Wer nicht lesen will, liest Zusammenfassungen. Die neuesten Orientierungshilfen für Freunde der Literatur

VON WIEBKE POROMBKA

Ob ein Buch zum Kassenschlager wird, hängt derzeit nicht unwesentlich am Wohlwollen von Elke Heidenreich. Da können die Intellektuellen des Betriebs noch so süffisant über die emphatischen TV-Empfehlungen lächeln – was Heidenreich in die Kamera hält, wird in den folgenden Wochen nur so über die Theken der Buchhandlungen schnurren.

Da aber dauerndes Lächeln zu Haltungsschäden im Gesicht führt, hat sich einmal mehr ein ganzer Schwung von Autoren bemüht, zumindest ein wenig an der Mode medialer Kanonbildung teilzuhaben. Herausgekommen sind Bücher, die den Leser über das unendliche Feld der Literatur navigieren und zugleich in die Schule des guten Geschmacks einführen wollen.

Schon im Titel verraten die Leit- und Lenkungsbücher allerdings, dass für die ästhetische Erziehung des Lesers durchaus auch gröberes Werkzeug an den Start gebracht wird. „Buch der Bücher“ heißen sie, „Überlebensbibliothek“ oder einfach: „Erzählen“. Schließlich will man ja nicht nur Bücher empfehlen. Man will vor allem mit dem eigenen eine gute Quote erzielen.

Rainer Moritz, publikumserprobter Leiter des Hamburger Literaturhauses und Autor der „Überlebensbibliothek“, will seine Leser durch Anleihen bei der populären Ratgeberliteratur gewinnen. Seine These: „Ja, Bücher leisten Erste Hilfe.“ Er präsentiert eine Einführung in 66 Romane, die dem Leser helfen sollen, die Klippen des Alltags zu umschiffen. Wer davon träumt, auf würdige Weise alt zu werden, dem empfiehlt er die Lektüre von Fontanes „Stechlin“. Wer sich selbst unterschätzt, der lese – richtig – Andersens Märchen vom hässlichen Entlein. Und selbst für äußerst exzentrische Problemlagen weiß der Literaturkenner einen Ausweg: Wer sich während seines Wüstenurlaubs unwohl fühlt, der sollte Karen Duves „Regenroman“ zur Hand haben. So will Rainer Moritz nicht nur Experte in Sachen Weltliteratur, sondern vor allem auch ein großer Humorist sein. Dafür fehlt es ihm allerdings nicht nur am Humor. Dass nur schwer durchzuhalten ist, was er mit der Geste des Gönners und, wie er es nennt, „leise ironischem Unterton“ über seine literarischen Lebenshelfer zu sagen weiß, liegt an der Verspannung eines Intellektuellen, der Angst davor hat, sich mit seinen Witzen zu blamieren. So schlagen die Pointen peinlich ins Leere. Selbst den über die Gebühr parfümierten hanseatischen Rentnerinnen wünscht man einen netteren Kulturgottesdienst im Literaturhaus.

Bei so viel Wunsch zum Witzigsein liest man fast schon dankbar die Orientierungshilfen, die zwei große alte Fachmänner für Literatur nicht nur den Kollegen ihres Fachs geben wollen. Der mittlerweile über Achtzigjährige Walter Hinck stellt in seiner „Romanchronik“ in altbekannter Staubtrockenheit und Sachlichkeit 37 geschichtsträchtige und also lesenswerte Werke des 20. Jahrhunderts vor. Leser, denen Rainer Moritz zu süffig ist, sollten sich hier allerdings etwas zum Trinken bereitstellen oder zwischendurch dann doch Karen Duves „Regenroman“ lesen, um unbeschadet durch diese Dürreperiode deutscher Literaturgeschichtsschreibung zu kommen.

Weitaus dynamischer geht es da beim „Erzählen“ von Volker Klotz zu. In seiner schwerwiegenden Handreichung schwirrt er als elektrisierter Leser nicht nur durch das letzte Jahrhundert. Voller Emphase geht es kreuz und quer durch die Weltliteratur von Homer bis Faulkner, bis der Leser trotz aller Beleuchtungs-, Seefahrer- und Navigationsmetaphern den Orientierungssinn verloren hat. Genau darum geht’s. Klotz will nicht nur alle großen Meere der Literatur befahren, er will sie auch nach allen Regeln der Kunst leer trinken und ordentlich betrunken sein.

Wer das überlebt, der darf sich den Büchern zuwenden, die gar nicht erst geschrieben worden sind. Manchmal sind ja diese spannender als jene, die den Weg auf den Büchertisch finden. Bester Beweis: der Sammelband „Ungeschriebene Werke“, in dem Buchprojekte vorgestellt werden, die nicht zustande gekommen sind. Joseph Roths kühne Vorstellung zum Beispiel, einen Roman in weniger als drei Wochen schreiben zu können, oder die Krimipläne von Ernst Jandl. Aber wer schon neugierig wird auf diese zum Teil skurrilen Vorhaben, der wird von den Beiträgern zur Räson gerufen: Sie geben sich in der Mehrzahl alle Mühe, an den Schubladenprojekten von Goethe bis Jandl herauszustellen, dass man die Ergebnisse, wären sie denn doch geschrieben worden, dem Leser nicht hätte zur Lektüre empfehlen mögen. Das ist fast ein bisschen schade.

Vielleicht hätte in diesem Fall also eine schlichte Liste mit ungeschriebenen Werken schon zur Orientierung gereicht. Die hätten Olaf Irlenkäuser und Rainer Vollmar dann in ihrem „Buch der Bücher“ mit abdrucken können. Sie bieten die derzeit leichteste Handreichung für Menschen, die einfach nur wissen wollen, was man kennen soll: Schotts Sammelsurium für Bücherfreunde, die noch an Gutenberg glauben, aber keine Lust mehr haben, ganze Sätze zu lesen.

Präsentiert wird auf möglichst kleinem Raum möglichst viel Wissens- und Nichtwissenswertes zum Thema Literatur. Gründungsjahre von Verlagen stehen neben den versammelten Buchtipps für literarische Fußfetischisten, fünfzehn bestverkaufte Titel bei dtv im September 1981 stehen neben den erlernten Berufen von Autoren. Bohumil Hrabal war Altpapierpacker, Walter Kempowski ist Lehrer. Bei der nächsten Party im Hamburger Literaturhaus kann man damit die entscheidenden Punkte machen. Das wäre ja ohnehin auch eine Idee, mit der man das Sendekonzept von Elke Heidenreich aufpeppen könnte: Kandidaten müssen die zehn größten Buchhändler Deutschlands oder zwanzig betrunkene Helden der Weltliteratur nennen. Zu gewinnen gibt es einen Schuber mit allen Büchern aus Heidenreichs Brigitte-Edition. Die will man zwar auch nicht lesen. Aber wenn irgendjemand ein Orientierungsbuch darüber schreiben würde, könnte man wenigstens wissen, was man sich erspart hat.