Bikini und Erdmännchen
Die neuen Kinderbücher „Königin Gisela“ und „Der kleine Weihnachtsmann reist um die Welt“ sind gut erzählt und wunderbar gezeichnet
VON KATHARINA GRANZIN
Wer kein Geld hat, um eine große Reise zu machen, kann seine letzten Groschen verwenden, um sich – und, ja doch, auch den Kindern – dieses Buch zu kaufen. Es tut zwar so, als wäre es nur ein Bilderbuch. Doch den Bildern des Nikolaus Heidelbach ist es eigen, über sich hinauszuweisen. Der weite Raum, den sie im Kopf öffnen, ersetzt jede Fernreise. Und „Königin Gisela“ ist ein rundum eigenes Werk des gefeierten Zeichenkünstlers, der unter anderem für seine Märchenillustrationen bekannt wurde.
Da fährt ein Mädchen allein mit Papa in die Ferien. Sie mieten sich in einem Hotel am Meer ein, faulenzen den lieben langen Tag herum, gehen gut essen – und vor dem Einschlafen erzählt der Vater dem Mädchen in Fortsetzungen eine Geschichte. Es ist die Geschichte eines anderen Mädchens, das vielleicht genauso alt, klug und eigensinnig ist wie das wirkliche Mädchen.
Das Mädchen in der Geschichte heißt Gisela. Es wird, bei einer Seereise, die es ganz ohne Eltern unternommen hat, auf einer einsamen Insel angespült. Ein paradiesisches Inselchen, mit Süßwasserquelle, Palmen und Obstbäumen, umgeben von einem fischreichen Meer und bevölkert von einer Familie Erdmännchen, die Gisela aufs Eifrigste zu Diensten sind und jeden ihrer Wünsche erfüllen. Gisela gewöhnt sich schnell an den Herrinnenstatus und führt ein strenges Regiment ein. Bald gleicht ihr Inseldasein dem Luxusleben in einem Fünf-Sterne-Pauschal-Hotel: „Frühstück – Schwimmen – Sonnen – Animation – Mittagessen – Siesta – Schwimmen – Sonnen – Animation – Abendessen. Trotzdem hatte Gisela viel Zeit zum Nachdenken.“
Und wir sehen das Mädchen, am Strand malerisch auf sorgsam ausgelegte Palmblätter hingestreckt, von Blüten und Muscheln umkränzt, während die Erdmännchen emsig für ihr leibliches Wohl sorgen. Ein insulares Schlaraffenland, für das jeder Mensch mit Verstand sofort seine aktuelle Alltagsumgebung eintauschen würde. Doch bei ihrem müßigen Nachdenken brütet Gisela eine ganz und gar unheilvolle Idee aus, mit der sie ihr Paradies aufs Spiel setzt. Zur Königin möchte die kleine Alleinherrscherin gekrönt werden; und damit nicht genug, wünscht sie sich zu diesem Anlass ein angemessenes Kleidungsstück: einen Bikini aus Erdmännchenfell.
„Die ist aber gemein!“, sagt das andere Mädchen in der Rahmenhandlung, genau wie wir erschrocken von dieser grausamen Volte. Klar, dass dieser Einfall einen Aufstand der Erdmännchen zur Folge haben muss. Doch wird die Geschichte denn auch grausam enden? Und wenn ja, für wen? Sehr spannend ist das, und das bleibt es auch noch beim zweiten, dritten und fünften Mal. Weil man nicht nur in den wundersam schönen Bildern immer neue Details entdeckt, sondern weil das mit diesem Buch überhaupt so ist. Das nur so tut, als wäre es nur eine einzige Geschichte in einer anderen Geschichte. Dass es noch mehr (Ge-)Schichten hat, durch deren oberste bei genauem Hinsehen noch andere durchschimmern, merkt man dann so allmählich, wenn man guckt, liest und den Kopf dabei einfach vor sich hin reisen lässt.
Eine völlig andere Art Bilder-Reisebuch ist Anu Stohners „Der kleine Weihnachtsmann reist um die Welt“. Dem sparsamen Text mit seinem trockenen Humor können auch kleinere Kinder gut folgen und sich lebhaft beteiligen an der sich ergebenden Diskussion, wovon man wohl Weihnachtspusteln kriegt und ob das eine Krankheit ist, die nur Weihnachtsmänner bekommen können. In diesem Buch passiert es nämlich, dass fast sämtliche Weihnachtsmänner an Heiligabend krank werden. Und da sie nun alle mit Pusteln im Weihnachtsmannkrankenhaus liegen, muss der kleine Weihnachtsmann Doppelschicht leisten und zusammen mit dem alten Oberweihnachtsmann und den Tieren rund um die Welt fahren, um die Geschenke zu verteilen. New York, Paris, Venedig und London tauchen, in Henrike Wilsons Illustrationen mit stimmungsvollem Understatement in Szene gesetzt, im geheimnisvollen Dunkel der verschneiten Winternacht auf – und wecken dabei eine Reisesehnsucht der ganz herkömmlichen Art.
Nikolaus Heidelbach: „Königin Gisela“. Beltz & Gelberg, Weinheim 2006, 14,90 € (ca. ab 6)Anu Stohner, Henrike Wilson: „Der kleine Weihnachtsmann reist um die Welt“. Hanser, München 2006, 12,90 € (ca. ab 4)
